Evolution und Theodizee

Zu Gerhard Stremingers Dialog zwischen einem Theisten und einem Skeptiker zur Theodizee

Helmut Walther (Nürnberg)


Der Glaube an die Schöpfung der Welt durch Gott hängt naturgemäß direkt mit dem Theodizeeproblem zusammen: Der Mensch erfährt diese Welt vor allem auch – wie es denn auch in der Bibel selbst schon heißt – als Jammertal. Wie aber kann es dazu kommen, wenn ein allgütiger und allmächtiger Gott als Verantwortlicher für diese Schöpfung die beste aller Welten geschaffen haben soll? Gerhard Streminger geht dieser Frage in seinem Theodizee-Buch (Gottes Güte und die Übel der Welt. Das Theodizeeproblem, Tübingen: Mohr 1992) unter anderem auch in Form eines Dialoges nach, den er auf seiner Homepage (siehe www.streminger.com) noch einmal erweitert hat. Nun sehen die meisten Theisten, soweit sie sich der hergebrachten Argumente in der Theodizeefrage bedienen, recht blass und alt aus. Schon Johannes Paul II. hat daher hier der Wissenschaft "nachgegeben" und zugestanden, dass die Evolutionstheorie "mehr als nur eine Hypothese" sei. Natürlich bleibt auch dann Gott der anstoßende Kreator, welche Linie nun auch Benedikt XVI. in seinen neuesten Äußerungen vertritt, um die Deutungshoheit der Theologie über die Wissenschaft zu retten.
Der SPIEGEL ONLINE vom 12. April 2007, URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,476820,00.html, kritisiert unter dem Titel EVOLUTION UND SCHÖPFUNG diesen Ansatz natürlich und zu Recht heftig. Um hier einmal dieser "ältlichen Blässe" der Theisten im Hinblick auf Evolution und Theodizeeproblem auf die Sprünge zu helfen, habe ich im Zusammenhang mit Stremingers Dialog versucht, diesen durchschlagkräftigere Argumente in den Mund zu legen, um es den Skeptikern etwas schwieriger zu machen, die Möglichkeiten der theologischen Argumentation zu widerlegen.

Wer sich aufgerufen fühlt, die nachfolgenden theistischen Postulate zu widerlegen, ist dazu herzlich gerne eingeladen – ich werde diese Antithesen dann gerne im Anschluss an den folgenden Text publizieren.

Falls Sie zunächst den ersten Teil dieses Dialoges von Gerhard Streminger, der übrigens auch in italienischer Sprache zur Verfügung steht, lesen wollen, klicken Sie auf diesen Link.

 

Der zweite Tage der Diskussion

Skeptiker: Nachdem gestern Deine Argumente oft recht schwankend waren und Du verschiedene Behauptungen über GOTT und die Bibel mal bejaht, mal verneint hattest, wolltest Du heute es noch einmal mit einer einheitlichen Argumentationskette versuchen ohne solche Sprünge wie gestern – also lass hören!

Theist: Ich gebe Dir recht, dass ich gestern einigemale zwischen verschiedenen Grundannahmen hin und her geschwankt bin – aber das lag wohl auch an Deiner verwirrenden Art, Argumente ganz verschiedener Art unvermittelt nebeneinander vorzubringen, so dass sich eben leicht logische Widersprüche einstellen können – wie es Dir jeder Logiker bestätigen wird –, wenn man nämlich kategorieverschiedene Ebenen miteinander vermengt. Also lass uns versuchen, noch einmal von vorne zu beginnen!

Skeptiker: So sei es!

Theist: So sollten wir uns zunächst über zwei Dinge einigen:

1. Die Welt, wie sie die Wissenschaft – allerdings nur auf der Basis bislang bewährter Hypothesen und damit vorläufig – erklärt, ist unser beider Ausgangspunkt. Wenn die Wissenschaft wirklich sich der Wahrheit annähert, kann sie gar nicht im Widerspruch zu GOTT stehen, da ER, die Wahrheit selbst, als Schöpfer der Menschen ebenso (zumindest indirekt) der Schöpfer der Wissenschaft ist.

2. Die Bibel ist das geoffenbarte Wort Gottes, aber doch nur so, dass dieses WORT immer nur Menschen offenbar werden kann; dieses Offenbarwerden ist aber direkt abhängig vom Traditionsstand der jeweiligen Menschheit – die moderne Hirnforschung lehrt uns schließlich, dass vor allem der Empfänger den Inhalt der Botschaft bestimmt.

Solange es auf der Erde noch keine Schrift gab, konnte der Inhalt des geoffenbarten Gotteswortes problemlos immer besser über die Generationen hinweg verstanden werden, weil sich dessen Interpretation über die zunehmenden Verstandesfähigkeiten des Menschen stets verbesserte und dem eigentlich Gemeinten annäherte. Erst mit der Schrift und deren Feststellung von Inhalten zu einem bestimmten (und so gesehen willkürlichen) Zeitpunkt kam es zu dem Paradox, dass das lebendige Gotteswort plötzlich in zwei Versionen existierte: einmal in der Interpretation, wie sie in der ersten Niederschrift der Bibel festgestellt wurde, und zweitens dann im jeweils lebendigen Antworten der Menschen in ihrer Gleichzeitigkeit auf das Gotteswort, das naturgemäß anders ausfällt als damals, weil sich Verstand und Vernunft des Menschen weiterentwickelten, und so auch die lebendige Interpretation dieses Wortes.

Die Bibel kann also nur gelesen werden als die Interpretation des Wortes GOTTES in einem bestimmten Zeitpunkt, die in all jenen Punkten, wo sie gut bewährtem modernen Wissen widerspricht, jedenfalls zu hinterfragen ist, was zum damaligen Zeitpunkt damit ausgedrückt werden sollte.

Skeptiker: Nun, ich denke, mit diesen Annahmen bist Du mir schon weit entgegengekommen – fragt sich nur, wie Du auf dieser Basis glaubst einen allmächtigen wie allgütigen GOTT beweisen zu können.

Theist: Die Entstehung der Welt, wie sie die Wissenschaft beschreibt, habe ich Dir ja bereits zugegeben. Allerdings setze ich – hier glaubend – dort GOTT als Schöpfer der Welt an, wo die Wissenschaft – übrigens ebenfalls völlig metaphysisch (nämlich nicht auf Basis von Anschauung, sondern unter Voraussetzung von bestimmten Denkmodellen) und im Wissen, dafür niemals eigentliche Beweise erbringen zu können – vom "Urknall" spricht. So gesehen sind hier Wissenschaft und Religion in ganz gleicher Lage, sie verwenden lediglich verschiedene Denkmodelle, und es ist doch sehr die Frage, ob die kalte Rationalität mit ihrer Instrumentalisierung der Welt die rechte "Weltanschauung" sein kann. Die heutige Rückkehr des Spirituellen lehrt da übrigens ganz etwas anderes! Schon aus diesem Gesichtspunkt scheint mir hier religiöses Denken in der Vorhand zu sein, weil es den Zusammenhang von Schöpfung und Schöpfer wahrt, wo die Wissenschaft des menschlichen Geschöpfes sich selbst zum Herrn der Welt meint aufschwingen zu können; mit welchem Ergebnis, brauche ich hier nicht weiter auszuführen ... Kurz gesagt: Die Religion eint den Menschen mit der Welt in GOTT, die Wissenschaft vereinzelt den Menschen gegen die Welt.

Skeptiker: Da halte ich dagegen: Was die Religion gefühlsmäßig zu erreichen versucht, das strebt die Wissenschaft in klarer Verstandeshelle an, wenn sie sich auf die Suche nach den Zusammenhängen all dessen was ist macht, und dafür die Weltformel sucht. Allerdings lässt sich dabei eine negative Tendenz der Wissenschaft, wie Du sie beschreibst, nur schwer bestreiten ...

Theist: Eigentlich verböte es sich ja, wie schon Meister Eckhart betonte, in menschlichen Worten von GOTT zu reden ("negative Theologie"), aber da wir nun einmal Menschen und nicht mehr sind, können wir unsere Glaubenserfahrung auf Grund des Offenbarwerdens des Gotteswortes nur mit menschlichen Worten ausdrücken. Dies sieht man den so gewonnenen "Prädikaten" der Allmacht und Allgüte auch sogleich an, denn sie bezeichnen menschliche Attribute in übermenschlicher Weise.

Wenn nun dies allgütige und allmächtige Wesen, das wir GOTT nennen, die beste aller Welten schaffen wollte, so gab es dafür zwei Hauptgesichtspunkte: Das von ihm Geschaffene musste lebendig sein, und es musste frei sein – sind dies doch die Hauptgesichtspunkte jeder Geschöpflichkeit, wie uns alles lehrt, was "webt und lebt". Dies konnte sich natürlich nicht vollziehen in einem Zeitraum von 7 Tagen, wie es uns die noch unverständige alte Interpretation der Bibel nahe bringen will, sondern nur in einem Milliarden Jahre währenden, durch GOTT angestoßenen Prozess – lebendig sein heißt werden. GOTT hat so seine ganze Werdelust in die Welt gelegt.

Wirkliches Werden in all seiner Vielgestalt ist aber allein möglich auf Basis der Freiheit, ohne weitere Eingriffe GOTTES selbst, weil er ja sonst selbst die freie und vielfältige Entwicklung behindert und eingeschränkt haben würde. Diese Freiheit liegt natürlich nicht in einer "motivlosen Entscheidungsfreiheit", wie Du immer wieder meinst unterstellen zu sollen, sondern im Gegenteil in einer ständigen vertikalen und horizontalen Auffaltung der Motive, also in einer kategoriellen Informations- und Vermögensschichtung vom Vegetativum über Instinkt über die Emotio zu Verstand und Vernunft, wie wir dies am Stammbaum des Lebens ablesen können. Wie gut es GOTT mit Leben und Freiheit gemeint hat, und dass er damit wirklich die beste aller denkbaren Welten geschaffen hat, kannst Du daran ermessen, dass auf diesem von ihm initiierten Wege als bislang höchstes irdisches Wesen der Mensch hervorgegangen ist, der all dies (und seinen Schöpfer!) zu reflektieren vermag und so über ein bislang nie gesehenes Maß an Lebendigkeit und Freiheit verfügt – also genau dies, woran einem allgütigen und allmächtigen GOTT gelegen sein musste.

Skeptiker: Aber was ist mit dem Leiden in dieser angeblich so guten Welt Deines GOTTES?

Theist: Das Theodizeeproblem im Hinblick auf die Bibel haben wir schon oben angesprochen – es gehört eben notwendig zur Entwicklungsfreiheit des Menschen, sich die Schrift zu schaffen – und erst aus dieser folgt das genannte Paradox der unterschiedlichen Interpretation des Gottesworts, das mit GOTT selbst nichts zu tun hat.

Aber grundsätzlich ist natürlich zuzugeben, dass es viel Leid in der Welt gibt – aber ist daran GOTT "schuld"? Sicherlich ist GOTT auch für dieses Leid in einer gewissen Weise verantwortlich, heißt das aber auch schuldig? Will der Mensch nicht Lust und Freude haben? Doch wohl – gibt es aber Freude und Lust, so muss es notwendig auch Leid geben, denn schon das Nachlassen der ersteren interpretiert der Mensch als "Leiden". Also waren Lust und Freude, die GOTT seinen Geschöpfen gönnt, auch für IHN aus strukturellen Gründen nicht ohne Leiden zu bewirken, es sei denn, Du zögest das stete Einerleigrau einer leid- wie freudlosen Verfasstheit der Welt vor – GOTT hielt dies gerade nicht für die beste aller Welten! Und Du sicher auch nicht!

Denn ER liebt das SEIN mehr als das NICHTS (ganz im Gegensatz zu einem Buddha, diesem Weltflüchtling), und das SEIN nur als lebendiges und freies, also als sich selbst entwickelndes in all seiner Kategorieverschiedenheit von den anorganischen Sternen bis hin zu den höchsten Lebewesen. Dieses Ineinanderverwobensein der verschiedenen Daseinskategorien führt aber notwendig zu dem, was Menschen Leiden nennen, und dieses Leiden ist auch noch einer jener "Motoren", mit welchem die Evolution als gottgewollter Prozess ihren Fortschritt antreibt, und welchen Fortschritt die Lust und Freude belohnt. Dies wusste ebenfalls auf seine Weise schon Meister Eckhart: "Das schnellste Tier, das euch zur Vollkommenheit trägt, ist Leiden." (Traktat "Von der Abgeschiedenheit")


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