Zum Unterschied von U- und E-Musik

Thesen zur Evolution in der Musik

 
Vortrag von Helmut Walther (Nürnberg)


Bei dem folgenden Text handelt es sich um einen Vortrag, der anläßlich einer Veranstaltungsreihe zum Thema "Musik und Philosophie" im November 1998 vor der Gesellschaft für kritische Philosophie (GKP) Nürnberg gehalten wurde. Weitere Veranstaltungen in dieser Reihe sind dem Terminkalender auf der Homepage der GKP zu entnehmen.

Mein heutiger Vortrag will keine fix und fertigen Lösungen bieten, sondern möchte mit teilweise durchaus auch provozierenden Gedankengängen der Wirkungsweise von Musik näherkommen – denn wie bei allen Empfindungen wird der Gehalt von Musik völlig individuell erfahren, und ein Austausch darüber ist oft noch schwieriger als die gegenseitige Mitteilung von "normalen" Empfindungen und Gefühlen. Und so behauptet ein Teil der Musikhörer denn auch, die Aufspaltung der Musik in U und E sei künstlich und unberechtigt, während hier – in Übereinstimmung etwa mit dem "Musikpapst" Joachim Kaiser – eine Begründung für solch eine Trennung versucht werden soll.

Die Wirkungsweise von Musik

Musik übt nicht nur eine psychische Wirkung aus, die gesondert, weil bereits zusammengesetzt, zu behandeln ist, sondern auch eine rein physiologische, die offenbar an allem, was lebt, sei es Pflanze, Mensch oder Tier, zu beobachten ist. Ganz offensichtlich wirkt sie sich hierbei auf dasjenige System aus, das wir beim Menschen mehr verschleiernd als erhellend das "Vegetative" nennen: das festverdrahtete Signal- u. Impulssystem, das über Nervenbahnen die Zustandsmeldungen der Organe an das Gehirn abgibt und auf dem Rückweg Steuerungsimpulse an jene zurückleitet. Am ehesten scheint sich die stimulierende Wirkung von Musik mit derjenigen der Sonne vergleichen zu lassen: deren Strahlen alles beflügeln, was lebt, ebenso wie deren Bedeckung auch das Lebende sich einkapseln läßt – was aber ist "der blaue Himmel" und die "wärmende Kraft" der Musik?

Zunächst möchte ich Ihnen von einem kleinen Experiment berichten, das mir eine kanadische Beethoven-Spezialistin(1), mit der ich seit längerem via Internet in Kontakt stehe, berichtet hat; sie schreibt:

"Zur Wirkungweise von Musik auf Pflanzen kann ich das Ergebnis eines ‘persönlichen Experiments’ anfügen: Bei gleicher Bewässerung und Beleuchtung (alle Zimmer in die gleiche Himmelsrichtung) ‘überlebten’ nach einem Jahr Ableger der selben Pflanze nur dort, wo ich CBC Stereo (Classics and Beyond) den ganzen Tag ‘bei mittlerer Lautstärke’ laufen ließ, egal ob ich ‘da war’ oder nicht. Das Experiment sollte ‘gewissen jungen Leuten’ zeigen, was ihre ‘Boom-Boxen’ und die daraus lautstark hämmernde Musik ‘den Pflanzen antun’ kann – die ‘armen Dinger’ gingen langsam ein."

Wenn also selbst Pflanzen durch Musik beeinflußt werden können: ist diese Wirkung eher im Steuerungsorgan Gehirn sich abspielend anzunehmen – oder aber spricht jene direkt die Einzelzellen und deren Kern-Membran-RNS-Verbindungssystem an, sodaß die eigentliche Wirkungsweise eine Rückwirkung auf das Gehirn wäre? Auch hier wird es auf die "Kategorie" ankommen, sprich, mit welchem "Sinnesorgan" welche Impulse der Musik aufgenommen werden. Pflanzen haben keine "Ohren" samt deren Repräsentanzssystem wie Tier und Mensch, folglich sind sie bestenfalls dazu befähigt, mit ihrer vernetzten Gesamtsteuerung (die sich bei der Pflanze gar nicht lokalisieren läßt, sondern ein Zusammenspiel der spezialisierten Zellverbände ist) auf die über die Luft übertragenen Schallwellen zu reagieren, welch letztere sich aus Rhythmus und Melodie zusammensetzen. Bei der Pflanze kann wohl nur die Rhythmik sowie deren Art und Härte als Wirkungsmechanismus eine Rolle spielen, insofern hier ein Zusammenhang mit der Impulsgeber-Funktion der pflanzlichen Nerven vorliegen könnte. Chemisch-elektrische Synapsenverbindungen könnten durch auf die äußeren Zellmembranen auftreffende rhythmische Schallimpulse positiv oder negativ angeregt werden – und zwar auf solche Weise, daß der im Schallimpuls enthaltene Rhythmus als gleichbleibendes "Dauerfeuer" den Eigenimpuls der Zelle entweder unterstützen und damit als eine Art zusätzlicher Taktgeber begünstigen oder entgegengesetzt sich störend auswirken kann. Pflanzen können sich also wohl ähnlich wie bei anderen analog-konditionierenden Vorgängen (s. etwa das Reagieren auf die Sonneneinstrahlung) ein "Außenangebot" analog zunutze machen: ein passender Rhythmus "erleichtert" möglicherweise die Eigenimpulstätigkeit, was der Pflanze Energie ersparen und/oder das Wachstum günstig beeinflussen könnte. Eine in bestimmter Weise sich gleichartig wiederholende Umgebungsaktivität scheint mancher "Tätigkeit" förderlich, wenn diese Aktivität nutzbar gemacht werden kann. Hingegen kann offenbar ein starkes rhythmisches Signal mit tiefer Frequenz und großer Lautstärke den eigenen "Biorhythmus" einer Pflanze derart beeinträchtigen, daß sie daran zugrundegeht.

Bei der Musikwirkung auf Tiere wird man zunächst zu unterscheiden haben, ob man es mit rein genetisch gesteuerten Arten zu tun hat (also ohne offene Programme, die nur für sich selbst über reine Impulsgewöhnung ganz "dunkel" zu lernen vermögen), oder ob es sich bereits um empfindungsbegabte Lebewesen handelt. Bei ersteren wäre anzunehmen, daß sie sich im Hinblick auf Musik ganz ähnlich wie Pflanzen verhalten, daß also nur die Rhythmik zum Tragen käme; bei höheren Arten wird davon auszugehen sein, daß die vegetative Abhängigkeit gegenüber den sensorisch durch Empfindung vermittelten Wahrnehmungen in den Hintergrund tritt, sodaß das Vegetativum von der Empfindungsinterpretation so stark überlagert wird, daß ersteres bei Reaktionen auf musikalische Schallwellen weniger stark ins Gewicht fällt. Versuche bei der Beschallung von Kuhställen haben ergeben, daß Musik von Mozart die Leistungsfähigkeit von Milchkühen positiv beeinflußt, während moderne Tanzmusik eher das Gegenteil bewirkt. Bekannt sind auch die Beobachtungen an Schwangeren sowie beim Zahnarzt, daß auch in diesen Fällen gerade die Mozarteische Musik im Hinblick auf das Wohlbefinden wie auch auf Schmerzen einen positiven Einfluß auszuüben vermag.

Es wird also zwischen eigentlichem Hör-Erleben (das sich beim Menschen in der Musik als Bezug zur Melodie und Harmonie äußert) und dem (allerdings auch noch beim Menschen vorhandenen) eher unbewußt vermittelten Rhythmus unterschieden werden müssen. Die Rhythmik wird ihre vegetative Wirkung als Impulsverstärkung oder -störung bis hin zum Menschen beibehalten, und sie wird auch noch die Emotio wie Ratio als Rhythmus ansprechen, insofern letzterer in der Reflexion der Empfindung durch den Verstand rationalisiert werden kann; die Wirkungsrichtung verläuft hier also von "unten nach oben". Melodie und Harmonie vermögen nicht direkt auf das Vegetativum zu wirken (es sei denn in der Rückwirkung, also von "oben nach unten"), sondern vielmehr nur auf Empfindung und Verstand. Die Wirkung von Musik sollte also zerlegt werden in diejenige, welche auf die Rhythmik antwortet, und diejenige, welche sich aus der Melodie und Harmonie auf das Empfinden ergibt.

Durch die vegetative Wirkung des Rhythmus können nicht nur Pflanzen störend oder fördernd beeinflußt werden, sondern noch wir Menschen selbst; so fallen wir in an unser Ohr anklingende Rhythmen, wenn sie uns entsprechen, häufig völlig unbewußt hinein, ein passender Rhythmus bewegt uns automatisch, setzt uns in "Schwingung". Bei der Beurteilung eines Rhythmus wäre ein Zusammenhang zwischen einer embryonalen Konditionierung durch den Herzschlag der Mutter dahingehend denkbar, ob ein Rhythmus als angenehm beziehungsweise unangenehm empfunden wird. Noch bedeutsamer als dieses Phänomen ist die empirisch gefundene Anwendbarkeit des Rhythmus zur Erleichterung beziehungsweise zur Steigerung der Arbeitsleistung, sei es erstens des Einzelnen selbst, insofern der Rhythmus bei bestimmten Arbeitsleistungen die "Strukturkontrolle" übernehmen und einen gleichmäßigen sich wiederholenden Bewegungsablauf steuern kann, welche Außensteuerung die Innen-Aufmerksamkeit des Einzelnen entlastet – hier die nächste Verwandtschaft zur Beeinflußbarkeit von Pflanzen. Wie schon die Naturvölker herausfanden, ist der Rhythmus aber auch dazu geeignet, die gleichzeitige Arbeitsleistung mehrerer Einzelner zu koordinieren, so daß diese rhythmuskontrollierte Anstrengung mehrerer wie eine Kraft zu wirken vermag.

Lassen wir an dieser Stelle Irenäus Eibl-Eibesfeldt, einen bekannten deutschen Humanethologen, zu unserem Thema Musik zu Wort kommen (Die Biologie des menschlichen Verhaltens - 3. Aufl. 1997, S. 938 ff.):

"Musik appelliert unmittelbar an unsere Empfindungen, Rhythmen ziehen bereits bei niederen Wirbeltieren gewisse Prozesse in Phase. So kann man mit einem Metronom die Kiemendeckelbewegungen von Fischen in Phase ziehen und verlangsamen oder beschleunigen. Spielt man Personen, deren Herzschlag man zuvor durch eine Übung beschleunigte, Wiegenlieder vor, dann nimmt die Pulsfrequenz schneller ab als in Kontrollgruppen, die nichts oder Jazz zu hören bekommen. Wiegenlieder ... ist gemeinsam, daß sie in Melodie und Rhythmus den langsamen Atemrhythmus des Einschlafenden nachvollziehen.

Wir dürfen annehmen, daß es verschiedene basale Rhythmen gibt, die menschliches Verhalten spezifisch beeinflussen, und zwar kulturübergreifend auf ähnliche Weise. Bestimmte Rhythmen beruhigen, andere erregen. Ob darüber hinaus spezifische Rhythmik-Muster als Auslöser spezifischer Emotionen wie Aggression oder liebevolle Zuneigung aktivieren, also spezifisch stimmen, wissen wir nicht. Fest steht die auf- oder abregende Wirkung von Rhythmen, ferner ihre koordinierende Wirkung auf Menschen in Gruppen, die nach dem Muster der Koaktion oder Alternation zu gleichzeitigem oder partnerschaftlich aufeinander abgestimmtem, abwechselndem Tun veranlaßt und in Phase gezogen werden.

Bei den Melodien gibt es sicher auch primäre Leitmotive, Personen können Helden-, Jagd-, Kriegs-, Trauer-, Wiegen und Liebeslieder, die aus sehr verschiedenen Kulturen stammen, mit großer Sicherheit der richtigen Kategorie zuordnen...

Musik packt unmittelbarer als die visuelle Kunst. Sie richtet sich in erster Linie an unsere Emotionen, wobei die primären Leitmotive als Auslöser in mehr oder weniger verschlüsselter Form geboten werden... Auch kann der Künstler durch das richtige Betätigen der Reizschlüssel verschiedene Emotionen in Aufeinanderfolge auslösen und so das "Seelenleben" des Zuhörers in einer Weise aufwühlen, die normalerweise nie erlebt werden kann. Hier werden sicher Spannungen aufgebaut und im Sinne einer Katharsis gelöst.

Durch ständige Wiederholung eines Rhythmus oder einer Melodie können Zustände der Trance, des Außer-sich-Geratens bewirkt werden. Vermutlich geraten bei dem dauernd wiederholten gleichen Reizanstoß Neuronenkreise ins Schwingen, wobei in Resonanz immer größere Neuronenpopulationen erfaßt werden, ähnlich wie bei einem epileptischen Anfall. Auf diese Weise entstehen veränderte Bewußtseinszustände...

Die ästhetische Wirkung der Musik wird durch die für bestimmte Zeitepochen und Kulturen spezifische Verschlüsselung entscheidend mitbestimmt. Und wie bei den visuellen Künsten kommt es auf Originalität und Einmaligkeit der Leistung an. Leitmotive werden neu geschaffen und variiert, und der Hörer genießt das Erlebnis des Wiederentdeckens, das ihm auch Orientiertheit und Vertrautheit vermittelt. Musik wird meist um ihrer selbst willen produziert – das heißt nicht, daß sie nur hedonistischer Selbstzweck ist. Gerade wegen ihrer uns so stark ansprechenden Art eignet sie sich auch für jene Zwecke, die wir bereits bei der Besprechung der visuellen Kunst nannten [Gemeinschaftsbindung, positive Selbstdarstellung vor anderen, Mitteilung von Werten/Normen der Gruppe]. Dazu verbindet sie sich allerdings häufig, wie im Lied, mit dem Wort... Musik steht häufig im Dienste der Gruppenbindung. Bei der Marschmusik ist dies ebenso offensichtlich wie beim Chorsingen...

Der Sinn für musikalische Harmonie beruht auf der biologisch vorgegebenen Fähigkeit, aus einem Akkord einen einzelnen Ton zu extrahieren, der mit dem in der Theorie bekannten "Grundton" übereinstimmt (scheinbare Tonhöhe der Psychoakustik). Diese Wahrnehmungsleistung beruht auf einer konstanten Verrechnung harmonischer Intervalle zwischen den einzelnen Partialtönen und stellt eine bemerkenswerte Abstraktion dar, da die virtuelle Tonhöhe im angeschlagenen Akkord physikalisch nicht gegeben sein muß. Parallelen zu analogen zentralen Verarbeitungsstrategien beim Erkennen und Einschätzen von menschlichen Sprachlauten legen die Annahme phylogenetisch erworbener Lernprogramme nahe."

Lassen Sie uns nun von diesen eher funktionalen Betrachtungen zur Musik selbst übergehen: zunächst fällt hier der Geschmackswechsel ins Auge: etwa vom gregorianischen Choral zur Vielstimmigkeit des Barock zur Harmonie der Klassik zur Disharmonie der Moderne. In diesen Veränderungen sprechen sich mit Sicherheit Entwicklungsschritte des menschlichen Geistes insgesamt aus. Man denke auch an die antiken Musiken: das Rituelle und eher Eintönige in der ägyptischen und fernöstlichen Musik, der gegenüber ganz offenbar die griechische Musik sich "emanzipiert" und eine ungeheuere Emotionalität auszulösen vermag. In einem Wort: auch die Musikgeschichte läßt sich als Evolutionsgeschichte des menschlichen Geistes interpretieren.

Insoweit könnten die Musikformen etwa der Naturvölker wie auch der "älteren" Kulturvölker wie Asien (China, Indien, Japan) und Ägypten durchaus "Auskunft" über den jeweils erreichten kulturellen Status geben – was sich wiederum mit anderen Phänomen der kulturrellen Entwicklung – etwa im Abstraktionsgrad der jeweiligen Schriften – durchaus decken sollte.

"U- und E-Musik"

Diese meist als überflüssig und falsch bezeichnete Scheidung zwischen Unterhaltungsmusik und "ernster" oder "klassischer" Musik scheint durchaus sinnvoll: die erstere läßt sich aus der mittelalterlichen höfischen Tanzmusik insbesondere im französischen Raum (Gigue, Sarabande u.a.) heraufverfolgen, um diese Reihe dann "gesamteuropäisch" vielleicht fortzuschreiben vom Menuett – Walzer – Tango – Charleston – Swing – Rock – zum Beat, wobei sich die U-Musik gegenüber der E-Musik durch ein schärferes und betonteres Taktieren auszeichnet, einen zunehmend härter werdenden Rhythmus, was wohl auf deren Ursprung als Tanzmusik beruht. Die Tanzmusik selbst stammt aus dem religiösen und später höfischen Ritus und behielt diese Bedeutung bei den Naturvölkern wie auch bei vielen asiatischen Völkern bis in die heutige Zeit. Im Gegensatz dazu wirkt sich die Auswicklung der Vernunft in der europäischen Kultur etwa im Absinken der Bedeutung des Ritus ebenso im Bereich des Tanzes aus: das Leibliche vermag nach der Zeitenwende nicht mehr in dieser rituellen Form im Dienste des Heiligen zu stehen – so sinkt die rhythmische Bewegung herab einerseits zur Lockung der Geschlechtslust, andererseits zu einer rein ästhetischen "Ausdruckskunst", in welcher der Rhythmus die Bewegung steuert und gliedert. Die Zunahme des "Beats" (einschließlich der Tatsache, daß eine moderne Tanzform eben gerade "Beat" heißt) seit Beginn dieses Jahrhunderts zeigt den ständig anwachsenden Einfluß von "naturnäherer" Musik auf (etwa aus Südamerika, Afrika, Indien): als Rückgriff einer ermüdeten und neue Stimulantien benötigenden U-Musik-Kultur. Daß dies ein deutlicher Rückschritt ist, macht sich darin kenntlich, daß hier vegetative und mehr instinktive als emotionale Zentren des Menschen angesprochen werden – darum gerät er hier in der Hingabe leicht "außer sich" (Droge Musik). Ratio und bewußte Emotio sind hier kaum beteiligt, sondern werden quasi nur als "Eingangsmedien" angesprochen; man sehe nur die völlige Belanglosigkeit der Texte, die ständig gleichbleibende Ansprache von zwei, drei Emotionen. Auf diese Bereiche wird mit der heutigen U-Musik auch gar kein Wert gelegt; vielmehr soll deren Wirkung erreicht werden, indem sich der Mensch aus jenen Zentren, die ihn erst eigentlich zum Menschen machen, zurückzieht; sie stören nur, er soll über den Rhythmus "in seine eigene Tiefe" fliehen, sich "ins Unbewußte" fallenlassen, sein Selbst aufgeben im negativen Sinne zugunsten einer vegetativ-instinktiven Gleichgestimmtheit in der Masse der Konsumenten. Für die Melodie kommt es zwecks Merkfähigkeit (und Umsatz) dabei lediglich auf eine gewisse Eingängigkeit und Unverwechselbarkeit an; Harmonien müssen eingehalten werden, jedenfalls dürfen Disharmonien nicht die Oberhand gewinnen, um die Emotio nicht unnötig zu beunruhigen und damit vom Einlullen abzuhalten. Die Hauptarbeit der Überwältigung leistet jedenfalls der Beat, der daher so angelegt sein muß, daß man sich ihm überlassen kann; daß er also das Bewußtsein einhüllt und das Gemüt, das "Zentrum" ins Vegetativ-Instinktive fortzieht.

Neben der rhythmusbetonten Tanzmusik existiert in den westlichen Kulturen auch noch eine weitere Musikform, die der Deutsche "Schlager" nennt (im Englischen "Song", im französischen das "Chanson"): vom (Volks-)Lied herkommend will diese Musik vor allem eine ganz bestimmte emotionale Stimmung ausdrücken und bewirken. Im Gegensatz zum Kunstlied der E-Musik und dessen auf das Individuum zielende Ausdrucksform und -kraft zielt der kommerzialisierte Schlager auf den Massenkonsum durch das Bad in angenehmer Durchschnitssempfindung.

Zu dieser scharfen Trennung in U- und E-Musik kam es ganz offenbar nur im Abendland, und zwar sogleich mit dem Beginn von dessen eigentlicher Kultur, wenn man die Äußerungen antiker Autoren insbesondere zur griechischen Musik heranzieht, deren eigentlicher Klang allerdings für uns wohl verloren ist, weil anders als etwa im asiatischen oder afrikanischen Raum keine direkte Überlieferung dieser antiken Musik vorhanden ist. Jene griechische Musik dürfte bereits den ersten Höhepunkt in dieser neuen Richtung erklommen haben: wie anders wären sonst die übereinstimmenden Beschreibungen der griechischen Autoren zu deuten, die allesamt auf eine emotionale Überwältigung der Hörer verweisen – also als individuell erlebte Berührung. Sicherlich hängt dies mit der neuen Ergreifensweise der Welt in der Rezeption der Vernunft durch die Griechen zusammen. Sie sind die ersten, die sich auch hier aus dem bloßen Ritus befreit und eine eigenständige Musik hervorgebracht haben, in der Melodik und Harmonik zu völlig neuer Bedeutung gelangten. Man denke hier vor allem auch an Pythagoras und den Zusammenhang von musikalischer und "Sphärenharmonie".

Trotzdem hatte die Zeitenwende die antike Befreiung zunächst durch ihre Anti-Sinnlichkeit verschüttet und erhielt sich den emotionalen Gehalt dieser Musik nur insofern, als die geistliche Musik als einzig verbleibende an diese griechischen Wurzeln anknüpfte. Als die Beruhigung der Zeitläufte nach den Wirren der Völkerwanderung dann auch wieder weltliche und höfische Musik gestattete, war die Spaltung in U und E prinzipiell bereits gegeben. Die Kirchenmusik ging längst eigene Wege in Schulung und Pflege, während die weltliche Tanz- und Unterhaltungsmusik wohl auf Volkstanz und Militär"musik" zurückgriff. Diese zwei verschiedenen Wege der Tradition hatten aber den Vorteil, daß beide Gattungen sich im Laufe der Zeiten immer wieder gegenseitig befruchten konnten (etwa in Renaissance, Barock und Klassik), und daß der rationalen Durchbildung der Musik, wie Notensystem, Harmonielehre und Stimmenführung, die gelehrte Pflege durch die Kirche zugute kam. Im afrikanischen und asiatischen Raum hingegen blieben diese beiden Formen immer zusammen; der Tanz behielt immer etwas Kultisches und der Kult war immer auch mit tänzerischer Bewegung verbunden. Als Beispeile können die Gemeinschaftstänze in Afrika und Amerika (Indianer) oder die Tempeltänze in Asien stehen, an deren traditioneller Festgestelltheit die gegenläufige Andersartigkeit und Weiterentwicklung ("Trenn-Fähigkeit"/Abstraktion) des abendländischen Geistes deutlich wird. Zu dieser Aufspaltung im Abendland mag vor allem auch die Tatsache beigetragen haben, daß sich in allen neuen höfischen Zentren Europas keltische und germanische Gebräuche mit dem hellenistisch-römischen (fortan "romanischen") "Kulturerbe" vermischten, wobei der "herbere und derbere" Sinn der ersteren, ihr weltlicher Festsinn, sich mit den eher asiatischen kirchlich-zeremoniellen Feierformen (Byzanz) nicht zusammenfinden konnte, sondern daneben eine andere, sinnliche und weltzugewandte Art des Festes verlangte, welche mit den christlich-kirchlichen Zeremonien zu scharf kontrastierte, als daß sie sich mit jenen hätte vereinigen lassen. Bei den "Heiden", also etwa auch in der griechisch-römischen Religion, war dieser Abstand zwischen religiöser und sinnlicher Feier nie gegeben, sondern beide Formen gingen nahtlos ineinander über (insofern nämlich in diesen Religionen die Abstraktion des Christentums noch nicht erreicht war). Interessant ist in diesem Zusammenhang der noch bis heute sich geltend machende Unterschied zwischen romanischen und germanischen Völkern: die "Sinnlichkeit" der ersteren in Musik wie Religion, das "römisch-katholische Moment", kontrastiert nach wie vor zur "germanisch-protestantischen Ernsthaftigkeit".

Überwiegt in der kirchlichen Musikpflege die Gelehrsamkeit, welche aufeinanderschichtend den Schatz der Musik bereichert (etwa die französischen Schule des 10.-12. Jh., später auf Rom und Venedig übergehend) und "logischerweise" (nämlich durch dies rational-additive "Häufteln": man denke an die venetianischen Doppelchöre) zu einer manieristischen Vielstimmigkeit führt (Manierismus ist immer das Kennzeichen einer rationalen Exaltation), stehen dieser Pflege seit der Renaissance große und in ganz Europa bekannte Meister der niederländischen und italienischen weltlichen Musik gegenüber, etwa ein Orlando di Lasso oder Monteverdi. Aus der choralen Mehrstimmigkeit und deren profanierender Übertragung entsteht das eigentliche höfische Orchester (z. B. in München) und die Tafelmusik; dabei verselbständigen sich die frühen Tanztypen zu eigenständigen Musik- (Satz-) Formen. Gleichzeitig wendet man sich im Zuge der Renaissance vom kirchlichen Singspiel ab und überträgt diese "Spielart" (sic!) auf die antiken (etwa "Orfeo e Euridice") oder antikisierenden Stoffe (etwa Tasso’s "Befreites Jerusalem"), woraus sich die Oper entwickelt. Bedingt durch die Mentalität und die Reformation geht der Norden auch hier wieder einen eigenen Weg, indem aufbauend auf kirchliche Meister wie Buxtehude und Heinrich Schütz einerseits die niederländischen und italienischen Errungenschaften aufgenommen, in Verbindung mit der neuen reformatorischen Innerlichkeit aber umgeschmolzen werden, sodaß sich der Musik ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten erschließen. Während Händel noch eher dem barocken italienischen Kreise zugehört, wird Joh. Sebastian Bach zum "Urvater der klassischen Musik" – einerseits der größte Virtuose der Vielstimmigkeit (welcher also zunächst alles "Alte" in sich aufnimmt), zum zweiten der Schmied der Harmonie, der diese Vielstimmigkeit durch die Harmonisierung der Tonarten und durch das Ineinander-Übergehen derselben gleichzeitig vollendet und überwindet, drittens jener Meister, der zum ersten Male die Innerlichkeit in der Musik auf neue und bis heute gültige Weise zum Ausdruck bringt – der Vollzug des geistesgeschichtlichen Faktums der Reformation in der Musik. Von dieser Wurzel ist auch noch ein Beethoven abhängig, wenn hier das Religiöse beziehungsweise Ethische nicht bloß aus der Empfindung her musikalisch gesagt wird; denn hinter dieser Musik steht keine emotionale Gefühlsduselei, sondern eine rational-bewußte gläubige oder ethisch-ideale existentielle Haltung wird zum Inhalt der Instrumentalmusik, welche über die nachvollziehende Empfindung das ethische beziehungsweise religiöse Ich der Vernunft anspricht. Parallel dazu führen Gluck und Mozart die psychologische Schilderung von Gefühlen vor allem in die Oper ein – die Musik hat nicht mehr nur "schön" zu sein, sondern vor allem "wahr": ihr wird die eigentliche innere Aussage übertragen. Sie ist nicht mehr bloße Unterlage von Handlung und Text oder Vorführung von manieristischem Belcanto, sondern sie tritt gleich- oder gar übergewichtig auf und leitet die eigentliche Ausdeutung (Gluck’s "Orfeo e Euridice", Mozart’s "Zauberflöte").

Demgegenüber ist die Musik der Romantik eine Rückwendung, als sie von dem erreichten Plateau der psychologischen Schilderung und des Existentiell-Unbedingten sich den Möglichkeiten der subjektiv-emotionalen Aussage und deren Exaltation zuwendet (s. etwa Berlioz’ "Symphonie phantastique"). Jenes "psychologisierende Moment" in der Musik führt Richard Wagner auf den Höhepunkt, indem er den Hörer durch sein "Gesamtkunstwerk" nach der Vorgabe einer mythischen Scheinrationalität in Handlung und Text mittels der Musik emotional überfährt, ihn in den Bann von künstlichen Genüssen schlägt – nicht umsonst tat seine Musik bei Baudelaire eine ganz ähnliche Wirkung wie das Opium: diese Verführung in einen leeren und abspannenden Rausch ist es, wogegen sich Nietzsche wendet. Die drei nach dieser Bewegung offenstehenden Alternativen wurden auch tatsächlich begangen: erstens mit Brahms, der die Verbindung zur Klassik und damit zur ethischen Aussage in der Musik wahren möchte; zweitens mit Bruckner, der auf romantische Art die unbedingt-religiöse Innerlichkeit des Menschen zu retten sucht; diesen beiden eher konservativen Versuchen steht gegenüber die fortschreitende und "fortschrittliche" Auflösung der Tonalität bei Mahler, die zu Webern, Schönberg und zur Selbstauflösung der E-Musik führt, jedenfalls was ihre Allgemeingültigkeit und -wirksamkeit anlangt. Das aber war tatsächlich die einzig zeit- und entwicklungsgemäße Richtung, wie sich an den gleichzeitigen Aussage- und Ausdrucksmöglichkeiten der anderen Künste ablesen läßt: auch in der Musik ist das "gute Gewissen" und der Glaube an den schönen Schein und an die Selbsterlösungsfähigkeit des Menschen abhanden gekommen. Die Reflexion der auf sich selbst stehenden Ratio läßt sich diese schließlich in nuce an die Stelle von emotionalen beziehungsweise ideellen Gehalten der vorgehenden Musik setzen, rationale Miniaturisierung von Motiven (Webern), Verfremdung (Strawinsky) und serielle Techniken (Schönberg) verflüchtigen das Ästhetische aus der Musik.

Eine "Teilmenge" dieser Auflösungsbewegung sehe ich in jenen Komponisten, die zwar die Harmonie in der Musik angesichts einer unheilvollen Menschheit über Bord werfen, die aber für ihr Komponieren in "Disharmonien" und die dadurch mögliche und über die Empfindung transportierte Aussage die ehemalige Harmonie quasi als negative Folie voraussetzen: die Hörbarkeit der Disharmonie und deren emotionale Auswertung ist ja nur möglich auf dem Hintergrund der verlorenen Harmonie. Richard Strauß, Prokofieff und vor allem Dimitri Schostakowitsch gehen diesen Weg im Festhalten an der ethischen Aussage in der Musik; ähnliches wird man auch von den Impressionisten sagen können, allerdings steht hier im Vordergrund das "musikalische Stimmungsgemälde" (etwa Debussy), wohingegen sich die Kompositeure von "klassischem Schönklang" im 20. Jh. als "Spätromantiker" bezeichnen lassen müssen. Diese Schilderung der Disharmonie in der Musik scheint mir gut vergleichbar der Formauflösung in der Malerei bei den Kubisten, Surrelaisten und Picasso: auf der Folie der Gegenständlichkeit wird die Deformation des Menschen gezeigt, der sich nicht mehr als ein Ganzes, sondern nur in seiner Befindlichkeit der Zerrissenheit darzustellen vermag.

Angesichts dieser getrennt verlaufenden Entwicklung von U- und E-Musik sollte an dieser Unterscheidung nach wie vor festgehalten werden: wendet sich letztere namentlich an das Vegetative-Instinktive-Unbewußte und an eine oberflächliche Emotionalität, indem sie den Einzelnen über Rhythmik und Eingängigkeit von seiner individuellen Selbstbestimmtheit wegziehen will, so verlangt die E-Musik zu einer adäquaten Aufnahme mindestens die Konzentration der Emotio, noch besser jedoch ein rationales Entgegenkommen zu der in jener angesprochenen Aussage gefühlsmäßiger beziehungsweise gar ethischer Art. Denn die Kunst braucht die ideale Einstimmung des Aufnehmenden, sonst verpufft ihre Aussage im Leeren oder Zerstreuten. Diese Einstimmung setzt aber den Selbstgebrauch einer sich ihrer selbst bewußten Vernunft voraus. Die Ansprache an Intellekt und Empfindung des Hörers wird aber nicht wesentlich durch den Rhythmus erzielt – vielmehr fungiert hier jener rein dienend – sondern über die Melodie und Harmonie. Diese beiden befähigen die Musik zu höchsten Aussagen, einmal durch Veränderung der Melodie in Tempo und Rhythmus und daneben gleichzeitig in Tonart und Stimmung; zum andern durch das Widerspiel von zwei oder mehreren Melodien, die als sich ergänzende oder bekämpfende Empfindungen vor- und ausgetragen werden (etwa Beethovens ständig beobachtbares Hauptmotiv: per aspera ad astra). Geht aber der Hörer bei beiden Bewegungen nicht entsprechend mit, d.h., zumindest verstandesmäßig sich selbst als von bestimmten Empfindungen bewegt zu erleben, so versteht er im wahrsten Sinne des Wortes nichts von dem Gehörten – und die Musik geht an ihm vorbei. Hier scheint der Unterschied zwischen U- und E-Musik so eminent und evident, daß man sagen könnte: sage mir, welche Musik du hörst, so sage ich dir, wer du bist. Von dieser hier theoretisch postulierten Aufnahme der E-Musik ist zu unterscheiden, wie die meisten Menschen hier in der Praxis verfahren: soviel daran wahr ist, daß jene Ergriffenheit vermitteln will, so verschiedenartig wird sich dieses Ergriffen-Werden des Konzert- oder Opernbesuchers darstellen. Wenn man einmal die ganz vordergründigen Motive wie Geselligkeit oder Eitelkeit außer acht läßt, ergeben sich folgende Unterschiede:

1. Man sucht das emotionale Außer-Sich-Sein, das sich zwar der Herkunft desselben von dieser Musik und des Daß dieser Wirkung bewußt ist, nicht aber des Wie – ich sehe hier eine deutliche Parallele zum Bestaunen des Schönen, wenn der Mensch im Kunstwerk die eigene Art in der idealen Überhöhung zu Gesicht bekommt. Die Musik vermag in einer ebensolchen "nicht alltäglichen" Weise die individuelle Empfindung zu bewegen, und in dieser Bewegung erlebt sich das Individuum selbst wiederum "lebendig" in einer im Normalfall nicht gekannten Konzentration. Ein "Absenker" dazu scheint es mir zu sein, wenn dabei der Selbstgenuß "schöner Gefühle" im Vordergrund steht (insbesondere Wagner beutete diese Veranlagung aller von ihrer Emotio bewegten Ästhetiker aus – ein Großteil seiner Anhängerschaft entstammt früh dem weiblichen Geschlecht).

Diese letzte Form des "Musikgenusses" scheint mir die einzige zu sein, in der sich U- und E-Musik parallelisieren lassen und die daher Anlaß geben mag, beide gleichzusetzen – man überläßt sich den von der Musik ausgelösten Emotionen, welche eine größere Gefühlsintensität, also positiv erlebte Emotio-Bewegung auslösen können, als es die Alltagsrealität normalerweise hergibt; und so wallfahrt noch heute ein Teil der Fans zu Roy Blacks Grab, und der andere zu Richard Wagner ...

2. Man sucht und findet (in der rezeptiven Stufe der Vernunft) rationale oder (in der reflexiven Stufe) ideale Selbstbestätigung: im ersteren Falle wirkt die Wiedererkennungsfreude, denkbar in doppelter Weise, nämlich einmal rational-funktional (ähnlich wie beim Kreuzworträtsel), zum zweiten als Wiedererkennen der eigenen Ratio-Wertehaltung, die sich das "Schöne-Gute-Wahre" zu ihren eigenen utilitaristischen Zwecken nutzbar macht. Man "badet" in der mitgeteilten Empfindung, wie man früher sonntags in die Kirche ging, um sich im Alltag ganz anders zu verhalten.

Im Falle echter Idealität wirkt das Wiederfinden des eigenen ethischen Ideals via Empfindung in der Musik, was als sympathetisches Mitstreben und damit als Selbstbestätigung erlebt wird.

3. Wird in der aufgenommenen Musik gar das Ewig-Menschliche ausgedrückt und wahrgenommen – verwandt mit dem "Ewig-Weiblichen", das uns nach Goethe "hinanzieht" (wenn es denn in ihr enthalten ist – was ja auch bei E-Musik nur in Ausnahmen der Fall ist), so wirkt dies als eine Forderung an das Individuum und damit als eine Förderung, sich weiterhin zur "Teleologie des Menschlichen" zu verhalten, also die alltägliche Bruchstückhaftigkeit und Unidealität für die individuelle Existenz zu überwinden. Damit findet hier aber keine Selbstbestätigung statt, sondern ein Ansporn zu weiterer Eigenaktivität, die eigene Individualität in Richtung auf "Ganzheit" zu entwickeln. Dieses letzte Wiedererkennen ist jener "Zuruf der Geister" über die Zeiten hinweg, wie er geradeso in der Dichtung und Philosophie wirksam wird: das gemeinsame innerliche Streben, bezogen auf eine in der Realität nicht vorhandene "Harmonie" und "Ganzheit", verbindet den Hörer mit dem Komponisten.

Insgesamt wird also die vom Komponisten beabsichtigte Wirkung und die Aufnahme durch den Hörer auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig hervorgebracht; das eigentliche "Musikerlebnis" findet dabei in einer Art "Mitte" statt: was der Künstler an individueller und auf’s Allgemeine zielender Aussage hineingelegt hat, muß vom Hörer, indem er aus seiner eigenen Lebenserfahrung heraus hier entgegenkommt, bewußt oder unbewußt wiedererkannt werden – und so wird angesichts der unendlichen Varietät von Anlage und Prägung unter den Menschen jedem sein ureigenes musikalisches Erleben zuteil.

Schneidet man der Kunst, sei es in der Musik durch serielle, also rein rationale Techniken, sei es in der bildenden Kunst durch ebenso rein rationale vollständige Abstraktion jegliche emotionale Aussage ab, entfallen all jene existentiellen Bestandteile emotionaler und idealer Natur, welche aus einem Artefakt erst ein Kunstwerk machten; ein innerliches Mitgehen ist dort ja nicht mehr möglich, wo sich "Kunst" auf formale und rationale Kriterien reduziert hat. Als "Gegenbeispiel" möchte ich Ihnen ein Stück vorstellen, das beweist, daß auch noch im 20. Jahrhundert, am Ende der Metaphysik, sinfonische Musik geschrieben werden kann, die trotz aller Disharmonie ihren Gehalt an Emotionalität auf der Folie der nicht mehr vorhandenen Harmonie gewinnt und gleichzeitig zeigt, wie sehr Rhythmus den Menschen in Bewegung zu setzen vermag. Es handelt sich um eine historische Aufnahme aus dem Jahre 1961; Sie hören einen Ausschnitt aus dem 3. Satz der Sinfonie Nr. 8 c-moll (uraufgeführt 1943) von Dimitri Schostakowitsch unter Leitung von K. Kondraschin mit dem Philharmonischen Orchester Moskau. Für die Sehnsucht des Menschen des 20. Jh. mag der Schluß der Sinfonie stehen, den ich Ihnen – etwas unvermittelt angehängt – nicht vorenthalten wollte.

Schostakowitsch 8. Symphonie 3. Satz

(1) Für alle Beethovenfreunde mit Internetanschluß, die des Englischen einigermaßen mächtig sind, hier die Internet-Adresse:

http://www.geocities.com/vienna/strasse/3732/index.html


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