Geist und Bewußtsein II

Eine Diskussion mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Gehirnforschung und KI

Helmut Walther (Nürnberg)

Teil I     Teil II     Teil III

Teil IV

T.R.:

Zunächst würde ich, um mein wichtigstes Problem zu berühren, eine Trennung zwischen Wissenschaft und Philosophie für unnatürlich und abwegig halten. Diese Trennungsversuche sind nur sinnvoll, wenn man klassisch davon ausgeht, dass es sicheres, erreichbares Wissen gibt. Nur dann kann man dogmatisch einer Methode den Vorrang einräumen oder muss es sogar tun, nämlich derjenigen, die mit Sicherheit zu wahren Erkenntnissen führt.

Wie Gödels Unvollständigkeitstheorem zeigt, ist diese Hoffnung, der Findung einer sicheren Methode, zu wahren und vollständigen Erkenntnissen zu gelangen, scheinbar vergebens. Trotzdem können wir Fortschritte bei der Gewinnung von gehaltvollem Wissen machen. Das ist schon selbst eine erstaunliche Tatsache.

Ich meine, aber deutlich zeigen zu können, dass selbst zu Beginn des letzten Jahrhunderts, in dem die wissenschaftliche Entwicklung tornadoartige Ausprägungen zeitigte, keine der wissenschaftlichen Disziplinen ohne Reflexion zur Philosophie auskam. Selbst die berühmte Kontroverse Bohr-Einstein war immer philosophisch motiviert oder philosophisch gesteuert. Einstein, der in jungen Jahren den Mach’schen Positivismus befürwortete, wandte sich später (zu spät wie wir heute wissen) klar von ihm ab zu Gunsten einer nicht-subjektivistischen Interpretation der Zeit. Wenn Sie das interessiert, lieber Herr Walther, kann man dazu noch etwas ausführlicher werden. (muss aber nicht sein?!) Anders herum lebte die Originalität der Philosophie von den Anreizen der Neuheiten der Physik und Biochemie. Es war niemals so, dass eine wissenschaftliche Disziplin im engeren Sinne ausschließlich auf sich selbst bezogen forschte. Immer wurden theoretische Annahmen vorausgesetzt, die eine philosophische Ebene erreichen mussten. Zumindest bis heute galt, dass Philosophie und Wissenschaft automatisch miteinander verknüpft waren. Die Fortschritte sehen imposant aus und doch müssen wir konstatieren, dass weder die Erkenntnisse der Philosophie noch die Erkenntnisse der Neurobiologie oder anderer für das Leib-Seele-Problem oder anderer Probleme relevanter Disziplinen sakrosankt sind. Wenn die Neurobiologie behauptet, dass Problem aus eigener Kraft lösen zu können, dann kann sie es nur in dem von ihr selbst formulierten Problembereich unter Beachtung ihrer vorausgesetzten Prämissen. Es ist vollkommen unstrittig, dass die Lösung in ihrem Sinne für eine andere Disziplin unter Umständen gar keine Lösung darstellt. Darin kann ich allerdings kein unlösbares Problem sehen!

Das von Prof. Roth entworfene Szenario ist ein schönes Beispiel, wie man darüber beginnen könnte zu sprechen. Es genügt nicht, es einfach abzulehnen. Nur Beiträge mit kritisch-substanziellen Inhalten sind gefragt. Wer dazu nichts beizutragen hat, soll es auch nicht tun und unnötige Polemik verstreuen. Die Argumente, die eine bestimmte Methode oder eine bestimmte Lösung bevorzugen, müssen natürlich immer kritisch überprüft werden. Wenn sich in ihnen Widersprüche zeigen, dann führt das im schlimmsten Falle zur Elimination dieser Methoden oder Lösungsversuche. Mehr geschieht nicht! Es muss niemand sterben – nur die Idee! Die Neigung der empirischen Forschung, bestimmte Ergebnisse vorschnell zu verallgemeinern, kann man kritisieren. Dies ist beispielsweise eine mögliche Form der kritischen Auseinandersetzung mit dem Empirismus. Nur ist diese Form der Auseinandersetzung ihrerseits eine vorschnelle Verallgemeinerung der Kritik am Empirismus!! Die Möglichkeit, den Empirismus manchmal so kritisieren zu können, wird gern zur dogmatischen Methode heraufgesetzt zu einem Automatismus geradezu leichtfertig erhoben. In dieser Weise kann man die empirischen Wissenschaften nicht verbindlich kritisieren. Es ist doch eben das Ziel empirischer Systematik, zu Verallgemeinerungen zu kommen. Die Philosophie kritisiert solche Verallgemeinerungen dort mit gutem Grund, wo es nicht gelingt, solche Verallgemeinerungen in eine möglichst gehaltvolle, widerspruchsfreie und gleichzeitig genaue Form mit großer Erklärungskraft zu bringen. Das ist eine schwere Anforderung, die in allen Aspekten wohl niemals befriedigend gelöst werden kann. Jede Theorie zu einem Problem, die eine Lösung dieses Problems vorschlägt, hat immer mit dem Zwiespalt zwischen möglichst großer Allgemeinheit und möglichst großer Genauigkeit und Gehaltfülle zu leben.

Erst an dieser Stelle können wir einen substanziellen Beitrag zum Roth- Szenario und zu seiner Frage leisten, ob die Philosophen die Leib-Seele-Frage als geklärt betrachten würden.

Der Gedanke ist folgender: Könnten die introspektiven Analysen einzelner Menschen und die technische Überwachung der Hirnaktionen bis ins Kleinste hinein, eine allgemeingültige Theorie zu diesem Problem ergeben? Die Antwort lautet- eindeutig nein! Ich sage auch sofort warum das so ist.

Die Theorie wäre zwar sehr gehaltvoll und genau! Nur sie wäre eben nicht allgemeingültig oder vollständig!

Der Einwand, man könnte diese Methode bei sehr vielen oder allen lebenden Menschen anwenden, ist ebenfalls keine Rettung der Allgemeingültigkeit. Es würde sogar die Allgemeinheit einer Theorie völlig verfehlen. Sie hängt nämlich nicht von der numerischen Zahl der Messungen ab, sondern von der Bewährung ihrer logischen Folgerungsmengen, sowie der Bewährung bei wiederholbaren empirischen Befunden. Eine Allgemeingültigkeit kann eine Theorie schon deshalb nicht haben, weil jede Theorie unendliche Folgerungsmengen aufweist, die sich ja wegen ihrer Unendlichkeit nicht in ein Konzept bringen lassen. Eine Theorie mit möglichst hoher Allgemeinheit, wird demnach eine Theorie sein, die sich in allen erdenklichen Aspekten der kritischen Prüfung bewährt hat. Sie kann trotzdem falsch sein! Der Gehalt einer Theorie kann bestimmt werden aus der Menge der Verbote, die in ihr festgelegt werden oder als Folgerung erscheinen. Je mehr eine Theorie verbietet, desto größer ist ihr Gehalt, denn auf eine andere als von der Theorie behauptete Weise, ist ein bestimmtes Phänomen nicht erzeugbar oder konstituierbar.

Diese Einschränkung als Gehaltsbestimmung ist ebenso kontraintuitiv wie das Antedatierungsproblem Libets. Das intuitiv Konträre besteht ja bei Libet in der subjektiven Wahrnehmung gegenüber Messungen, dass periphere Hautreize der Hand 25 mal schneller bewusst werden als ein vergleichbarer direkter Stimulus der Hirnrinde selbst.

Das ist eben nach neuroelektrischen Messmethoden und den Erfahrungen aus Messungen der Leitungsgeschwindigkeiten von Nervenbahnen ein unerwartetes Ergebnis. Die direkte Hirnreizung müsste immer schneller bewusst werden, wenn es nur um die Reizleitungsgeschwindigkeit ginge. Wie es scheint, hat aber die Reizlokalisation etwas mit dem Bewusstsein zu tun und nicht nur die Entfernung der Reizaufnahme vom Gehirn. Der in Übereinstimmung mit der Biologie gefundene orthograde Reizentwicklungsweg scheint bewusste Phänomene bevorzugt auszulösen, was einer neurobiologischen Erklärung bedürfte. Diese Feststellung ist eben noch keine Erklärung für den Philosophen und hoffentlich auch nicht für den Neurobiologen und auch nicht für den Neuroinfophilopsychokognitodramaturg! Das sind eben die Probleme der Erkenntnis des Menschen nicht nur von sich selbst. Die Physik hat ja mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Sie muss die Folgerungsmengen der Relativitätstheorie und Quantenelektrodynamik auswerten. Beide sind völlig kontraintuitive Theorien, die derzeit die beste Erklärungskraft besitzen. Mann kann aber zeigen, dass sie nicht wahr sind! Die Falsifikationen von Theorien, die nicht trivial sind, erfordern in der Regel hohe Fachkompetenz. Die Widerlegung von Aspekten einer Theorie oder von Argumenten für oder gegen eine Theorie, die nicht trivial ist, bleibt oft den Fachleuten vorbehalten. Sie müssen dann ihre Ergebnisse so formulieren, dass sie zunächst von Fachkollegen und dann auch von interdisziplinären Veranstaltungen überprüfbar bzw. kritisierbar werden. Die Anwendung philosophischer Erfahrungen kann in jede Methodologie spürbare Entlastungen hineinbringen oder alle Bemühungen verderben. Dieser Tatsache eingedenk, ist es keinem empiristischen Wissenschaftler zu verdenken, wenn er die Philosophen lieber heute als morgen vor die Tür setzen möchte. Nur sollte er bedenken, dass er selbst in seiner individuellen Entwicklung und reflektierten geistigen Tradition gewissen ausgetretenen Spuren folgt, die er teilweise lediglich mühsam neu unterfüttert, ohne jedoch die geringste Kenntnis davon zu haben. Das ist ein schmerzender Zahn, den die Philosophie ziehen kann.

Andererseits kann die empirische Wissenschaft das Magengeschwür der Philosophie kurieren, das in der bedrückenden Einsicht besteht, die empirische Basis ihres Disputes nicht so genau zu kennen. Insgesamt würde ich die konträre Situation genauso entschärfen, wie es das pragmatische Element in Delmenhorst propagiert und umsetzt.

Es geht um die Symbiose methodologisch verschiedener Ansätze (die kritisch-empirische Methode der Realwissenschaften und die kritische Methode der Erkenntnistheorie), die miteinander zu einer besseren Methode verbunden werden sollen. Theoretisch dürfte es dabei keinerlei Probleme geben, es sei denn, die Befindlichkeiten der beteiligten Personen bringt dieses Bestreben zeitweilig zu einem Abbruch. Das sind aber lediglich subjektive Gründe, die für ein Scheitern dieser Symbiose sprechen. Es gibt allerdings Einwände, die eine Emergenz beliebiger Methoden zu verhindern scheint. Logisch unvereinbare Methoden sind nicht symbiontisch konstituierbar, ohne wesentliche Abstriche an den Methoden selbst. (Methoden enthalten immer theoretische Voraussetzungen, die miteinander logisch unvereinbar sein können)

Mir scheint beispielsweise die Methode, echte Probleme in der Philosophie zu leugnen (Wittgenstein), unvereinbar zu sein, mit jeder kritischen Methode, ob in den kritisch-empirischen Wissenschaften oder der kritischen Erkenntnistheorie. Ich glaube allerdings ernsthaft, dass die Philosophie ohne realwissenschaftliche Anstöße und Prüfungen von theoretischen Konzeptionen der empirischen Basiswissenschaften mit ihren sogenannten ureigensten Problemen lediglich Kreise zieht und auch sonst wohl nur zur Formulierung von "wesentlichen" Problemen kommen kann, wie ich dies auch umgekehrt annehme. Diese Einsicht und die historische Entwicklung der Einzeldisziplinen aus der Philosophie heraus und scheinbar weg von ihr, haben eine gewisse latenten Immunisierung der Philosophie in toto vor sogenannten fremden Einflüssen entwickelt, die heute teilweise so unkommunikativ exponiert. Die Philosophie lebt von Problemen, die sie selbst entwickelt oder von anderen Disziplinen übernimmt und weiter reflektiert.

Die empirischen Wissenschaften sind historisch und aktuell immer an den Problemen der Philosophie stark orientiert gewesen. Kein Empirist wäre je auf die Idee gekommen psychische Phänomene mit seinen Methoden zu untersuchen, wäre da nicht eine jedem denkenden Menschen eigene philosophische Methode der Reflexion. Eine völlig kontraintuitive Vorstellung oder Phantasie kann empirisch manifestierte Dogmen stürzen.

Jedem Menschen werden die Fragen eines Tages mehr oder weniger intensiv vorgelegt, wenn er das Alter der biologischen Entwicklung erreichen kann! - Wie kommen wir zu Erkenntnissen?

Woher kommen Werte oder moralische Probleme? Gibt es einen individuellen freien Willen?

Wenn ja, worin besteht er, was kann er leisten? Was können(K) wir tun oder sollen(S) wir tun? (S® K, denn non-K® non-S; /® = impliziert)

Sind individuelle Erlebnisse inklusive der Empfindung des Ich (qua analogon, qua metapher) theoretisch erklärbar oder ableitbar und gibt es sie überhaupt?

Das Problem des Problems wird zum Problem

Zur letzten Frage möchte ich ganz kurz etwas bemerken. Ich glaube, dass individuelle Erlebnisse real sind. Sie wissen ja selbst, lieber Herr Walther, besser als ich, dass die Philosophen hier geteilter Meinung sind und es gibt erhebliche Einwände gegen solche Philosophien, die eine Wirklichkeit solcher Erlebnisse leugnen. Ich möchte aber etwas zur theoretischen Ableitbarkeit sagen. Das ganze hängt mit der Frage Roth‘s eng zusammen. Die Verwirklichung des Roth-Szenarios, wie ich es nennen will, kann im besten Falle nur zu einer unendlichen Folge wahrer Theorien führen, ebenso wie der theoretische Beweis des Indeterminismus. Allerdings könnten wir das niemals wissen, dass wir uns in einer solchen Struktur befinden. Denn alle diese wahren Theorien, haben trotzdem unendliche Folgerungsmengen. Selbst wenn alle Theorien wahr wären, bleibt das Unvollständigkeitstheorem Kurt Gödels. An irgendeiner Stelle treffen wir auf potentielle Unendlichkeiten, und auf aktuelle ohnehin.

Bei der Diskussion der Leib-Seele-Problematik wird mir einiges ganz deutlich:

1. gibt es keine Einigkeit darüber, worin das Problem besteht: Kann das Problem objektiv formuliert werden?

2. besteht keine Einigkeit darüber, worin das Ziel der Beschäftigung mit diesem Problem besteht. Was soll erklärt werden?

3. besteht offenbar ein philosophisches Missverständnis, wenn, wie Roth sagt, einige Philosophen glauben, festlegen zu können, was als Erklärung gelten kann. Kann die Lösungshypothese subjektivistischen Charakter haben?

4. besteht die Gefahr eines konsequenten Subjektivismus, der jede beliebige Lösung des Problems subventioniert. Das Problem der Wahrheit wird dann in einem unhaltbaren Konsensbestreben zu lösen versucht. Jeder Mensch könnte ja seine subjektive Erlebnisweise als Falsifikation anbieten. Das ist nicht prüfbar!

5. hat das Roth-Szenario einen positivistischen Hintergrund. Introspektionen, die als Selbstbeobachtungssätze gebracht werden, sind empirisch irrelevant!

6. kann Sprache Empfindungen nicht exakt übersetzen.

7. ergibt sich daraus die Schaffung und Ausarbeitung einer statistischen Interpretationstheorie des Roth-Szenario unter dem geforderten parallelen Analyseverfahren – Introspektion + Messung.

8. ist dann zwischen Hirnaktionen in der Messung und gemessenen Hirnaktionen bei der sprachlichen Schilderung der Erlebnisse eine synchronisierende Theorie zu schaffen.

9. sind weitere Theorien erforderlich für Rekursionsmöglichkeiten auf die genetische Kondition und die Variation und Variabilität von Interpretationsschwankungen hinsichtlich der Propensitäten einer zufälligen Testsituation. Damit kommen wir dann spätestens in das oben zusammengefasste Shift der unendlich wahren Theorien, bzw. in eine statistische Lösung, die mit Wahrscheinlichkeiten arbeitet.

10. folgt dieser unbefriedigenden Situation ein neues Roth-Szenario. Kann man ausschließen, dass neue bewusste Denkprozesse, wie die Erfassung des statistischen Zusammenhanges zwischen Anzahl der Messungen und Anzahl verschiedener Interpretationen bei unscharfen Propensitäten unter Beachtung der Quasi-Theorie der Synchronisation der Messung von Hirnaktionen bei sprachlicher Äußerung und Messung der Hirnaktionen des eigentlichen Erlebnisses, keine signifikanten Abweichungen der Messungen ergeben können? Mit anderen Worten: Wie verhält sich eine hypothetische, statistische Theorie zu Häufigkeitsmessungen und deren lokalen Signifikanzen von Gehirnaktivitäten zu Messungen neuer Gedanken und deren Gehirnaktivitäten?

Das Roth-Szenario, so scheint mir, führt auf keinen sichereren Grund, auch wenn man noch so genau wird in den Messungen. Das ist ja auch nicht zu erwarten gewesen. Je ungenauer eine mögliche Theorie die Zuordnung zwischen geistigen Phänomen und anatomischer Lokalisation beschreibt, desto allgemeingültiger wird sie sein und umgekehrt. Genetische Variationen können zu anatomischen und funktionellen Variationen führen. (Linkshändigkeit) Selbst bei eineiigen Zwillingen wird man vermutlich ab einer gewissen Genauigkeit enorme Variationen messen.

Wenn man aber den Gedanken aufgibt, Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit erreichen zu wollen, dann sind verschiedenen aussichtsreiche Verfahren denkbar. Zu Gunsten der Allgemeinheit müssen wir auf Genauigkeit partiell verzichten.

Ich schlage vor, zunächst möglichst allgemeine Messungen zur Aufklärung korrespondierender Hirnareale bei unterschiedlichsten Anforderungen zu systematisieren.

Wenn man beispielsweise die Sprachzentren genauer studieren will, muss der Delinquent natürlich sprechen. Aber das, was er sagt, ist primär völlig unwichtig. Es kommt nur auf die sprachliche Formulierung der Lösung eines Problems an sich an (sowie die Messung der entsprechenden Hirnaktionen), nicht auf die Wahrheit der Lösung. Wenn man will, kann man natürlich den Versuchsaufbau zwanglos verfeinern. Will man beispielsweise untersuchen, ob es einen signifikanten Unterschied in den Gehirnaktionen zwischen individuellen, evidenten Wahrheiten (nach individueller Problemlösung) und den Gehirnaktionen dazu konträrer überzeugender Problemlösungen, die überindividuell akzeptiert werden, gibt, könnte man den Delinquenten multiple Choice- Aufgaben lösen lassen, bei der keine "wahre" Lösung vorgegeben ist.(und auch nicht sein kann)

Auch wenn das Voranstehende reine Spekulation darstellt , so wird doch deutlich, das man im Prinzip so fragen kann. Der scheinbar unzudringliche Kern der Leib-Seele-Frage lautet

aus der Sicht der Empiristen: Wie kann man subjektive Erlebnisse messen und interpretieren?

aus der Sicht der Philosophen: Wie ist Geist aus Nicht-Geist möglich? Und was ist dieser?

aus der Sicht der Biologie: Wie sind die Zusammenhänge zwischen Struktur und Funktion, die das bewusste Erleben ausmachen beschaffen?

aus der Sicht der Informatik: Wie gelingt es der Information in Wechselwirkung mit der Materie und der Energie etwas über sich zu erfahren? Wie sehen die informationsverarbeitenden Strukturen aus, die letztlich zu emergenten Strukturen und zu bewussten Erlebnissen führen?

Wenn man alle diese Problemnuancen miteinander in Beziehung setzt, hat man vermutlich schon einmal ein recht ansehnliches metaphysisches Forschungsprogramm!

Die o.g. Punkte sollten jedoch etwas detaillierter ausgearbeitet werden.

Wiederholung, Hypothese, Realität

Ein wichtiges Problem für mich besteht in der Frage: Wie es die Entwicklung der Arten schafft, auf Ähnlichkeiten und Gleichartigkeiten reagieren und angemessene Anpassungen entwickeln zu können?

Ich würde damit das Problem der Wiederholung der Geschichte auch als momentan befriedigend geklärt betrachten. Das Problem der Realität und der Hypothese schließt sich hier unmittelbar an, denke ich. Ihre eigene Phylogenese gibt ja hier auch schon etliche Ansätze für eine gute Diskussionsgrundlage. Ich denke, dass Ihre Schwierigkeiten, lieber Herr Walther, mit meiner Formulierung, dass selbst neuroanatomische Strukturen eine Hypothese zur Realität darstellen, auf einem anderen Verständnis der Begriffslage fußen könnten. Allerdings haben Sie selbst einen anderen evolutionären Verständnisaspekt selbst schon impliziert, als Sie ihn dann später bei der Vermutung erstarrter Hypothesen entwickelten. Wenn Sie entwicklungsgeschichtlich davon ausgehen, dass die Zusammenschlüsse oder Anlagerungen der Materie immer schon die Realität sind, wenn diese sich in einer bestimmten Umwelt halten können, dann ist das schon eine für mich akzeptable Beschreibung. Somit gehe ich davon aus, dass es nicht nur bewusste Hypothesen gibt sondern ebenso vorbewusste oder unbewusste. Diese Hypothesen sind z.B. chemische Strukturen, die sich ja nur halten können, wenn sie einer bestimmten Anzahl von Aspekten ihrer Umwelt genügen, d.h. wenn sie sie in einer hinreichenden Weise berücksichtigen. Ich gehe dabei von einer von vielen Evolutionsbiologen angenommen Evolution der Hypothesen aus. Zu vorbewussten Hypothesen zähle ich dann ebenso chemische Moleküle wie auch größere strukturelle Verbände, die sich von ihrer Umgebung abgrenzen. Diese Abgrenzungsmöglichkeit ist mit dem Informationsbegriff verbunden. In dieser vorbewussten Phase ist Wissen gewissermaßen biologische Struktur und deren funktionale innere Beziehung gegenüber einer Umwelt oder Außenwelt, die ihr gegenüber steht. Man könnte auch von einer informativen Struktur sprechen. In dieser Struktur sind dann Wissensaspekte über die Außenwelt enthalten.

Sie werden aber selbstverständlich nicht in dem Maße reflektiert, wie es später für bewusste Hypothesen möglich wird. In dieser Phase werden die Hypothesenstrukturen selbst eliminiert, sollte sich ihr Wissen über die Außenwelt als unzureichend oder falsch herausstellen. In dieser Weise möchte ich auch die Begriffe Realität und Hypothese verwenden, indem ich als Realität die Außenwelt einer informativen Struktur setze und Hypothesen in ihrer allgemeinsten Bedeutung als Vermutung über die Beschaffenheit dieser Außenwelt betrachte. Dahinter steckt die methodologische Überzeugung, dass es eine kontinuierliche Beschreibung der Erkenntnis geben kann.

Eine entscheidende Problemlage und fruchtbare Idee ist ja die, dass man davon ausgehen kann (nicht muss), dass es eine von dem erkennenden Subjekt unabhängige Realität gibt (einschließlich anderer erkennender Subjekte). Dadurch entsteht ein gewissermaßen dualistischer Reflexionsraum.

Dieser bezeichnet die Wechselwirkung zwischen Hypothese (Strukturen, Theorien und Wissensbeständen allgemeinster Weise) und nicht vollständig erkannter Realität. Der wohl auch von Ihnen geschätzte Konrad Lorenz formulierte es einmal so: " Augen sind eine Hypothese über das Licht, die Flossen der Fische und die Schwingen von Vögeln spiegeln die jeweiligen physikalischen Gegebenheiten des Lebensmilieus wieder unter denen die erkenntnisbringende Leistung ihrer Bildung statt fand." Das könnte man als primitive Erkenntnis bezeichnen. (hier spielt auch die Hypothese einer hierarchischen Genstrukturierung eine große Rolle) Gerade beim Leib-Seele-Problem halte ich die Verwendung der Idee der Wechselwirkung für recht fruchtbar. Eine neurobiologische Theorie der Parallelität oder die moderneren Varianten der Informatik zur Identität von Datenverarbeitungsprozessen und geistigen Prozessen sind recht wenig erklärungskräftig und eigentlich trotz der Fülle an einzelnen Daten recht gehaltlos. Sie werden aber wichtige Zwischenstufen kommender Theorien darstellen.

Sie haben sicherlich recht, wenn Sie geschichtete quasi "erstarrte" Hypothesen annehmen. Das widerspricht ja meiner Auffassung gar nicht. Sie sind aber meiner methodologischen Maxime entsprechend trotzdem Hypothesen zur Realität, weil sie sich immer noch als unzureichend erweisen könnten. Sie sagen ja selbst, dass sich die Vernunft übernehmen könnte. Das wäre freilich ein langfristiger Irrtum, der aber immerhin einen Teil der Realität gut erfasst hätte (achselzuckend: ja und?). "Tragfähige" Hypothesen, die wir nach meinem Verständnis auch als realistische Hypothesen bezeichnen könnten, sind die unspezifischste Ausdrucksform des Versuches der Erfassung wirklicher Zusammenhänge. Man könnte demnach formulieren, dass alle realistischen Hypothesen eine Chance haben zu erstarren und somit strukturell in den Organismen niedergelegt zu werden. Aber aus unseren erkannten Fehlern lernen wir, dass es kein sicheres Wissen geben kann. Für die erstarrten Hypothesen würde ihr Irrtum den Tod bedeuten, für die tragbaren oder realistischen Hypothesen lediglich ihre folgenlose Eliminierung. Dass diese Beschreibung in gewisser Weise idealistisch ist, scheint klar zu sein. Denn jede noch so schlechte realistische Hypothese mit termini kann am Leben gehalten werden und jede erstarrte Hypothese kann an der Veränderung der Außenwelt quälend langsam scheitern, so dass es unter Umständen wie eine erfolgreiche Hypothese aussieht!

In Bezug auf die realistischen Hypothesen ist es selbstverständlich auch notwendig, die hypothetische Metaphysik zu kritisieren. Sie sagen selbst, dass sie ihre Berechtigung hat, wenn sie sich der Kritik stellt. Dem stimme ich mit der Einschränkung zu, dass sie ihre Theorien auch kritikfähig machen muss! Das bedeutet, die Theorien der hypothetischen Metaphysik müssen einen logischen und informativen Gehalt haben. Sie sind sonst unkritisierbar. Wenn es Sie interessiert, lieber Herr Walther, könnten wir hier vertiefen!?

Realität und Wahrheit

Hier kommen wir nun zu einer sehr einfachen und scheinbar doch so schwierigen Frage. Viele Autoren scheinen hier einen Gegensatz oder gar ein unauflösbares dualistisches Problem zu sehen. Keine dieser Auffassungen scheint mir richtig zu sein. Der Begriff Realität beschreibt die Außenwelt des erkennenden Subjekts. Der Begriff der Wahrheit beschreibt in seiner allgemeinsten Form die Summe zutreffender Aussagen zur Realität. Anders formuliert kann man auch sagen, dass Wahrheit die Übereinstimmung von Aussagen mit Tatsachen ist.

Weiter verallgemeinernd würde ich die Wahrheit als Leitprinzip oder regulatives Prinzip oder regulative Idee zur Realität bezeichnen. Im engeren Sinne ist Wahrheit die Gültigkeit eines deduktiven Schlusses der Logik und somit eine abgegrenzte Vereinbarung des Verhältnisses zwischen Realität und Aussagen.

Ihre Kritik am Empirismus und Positivismus, die den Zweck erfüllte, den konsequenten Utilitarismus in Frage zu stellen, ist mir nicht ganz klar geworden. Das Postulat der Nützlichkeit einer Deutung der Realität, die mir als soziologisches Problem erscheint, muss sich ja auf evidente Erlebnisse (=das subjektive Empfinden der Übereinstimmung von Überzeugungen mit der Realität) erstrecken. Ich will nicht den konsequenten Utilitarismus verteidigen. Ich will nur anmerken, dass die Theorie über das nützliche Verhalten von Menschen oder Tieren oder Lebewesen überhaupt keine wahre Theorie sein muss. Ich will damit sagen, das sind alles mehr oder weniger gute Hypothesen.

Auch Theorien sind nichts als Hypothesen. Häufig wird das missverstanden, wenn man hin und wieder hört, das der Begriff der Theorie mit der Wahrheit gleich gesetzt wird.

Aussagesysteme in Theorieform sind nicht automatisch wahr, weil sie Theorie heißen, sie sind Hypothesen. Auch die Aussagekomplexe der Psychobiologie, in die solche Aussagen wie Nützlichkeit des Verhaltens, Verhalten hin zur positiven Gestimmtheit usw. gehören, sind rein empirische und oft anthropozentrische Befunde, gekoppelt mit evidenten Einsichten, mithin die Grundlage einer empiristischen Hypothese. Daran ist wenig wahres und schon gar keine "erstarrte Realität".

Ich schlage vor, diesen Begriff in diesem Sinne aufzugeben! Nützlichkeit ist kein Kriterium für die Wahrheit von Aussagen, die ein unscharf begrenztes Explikandum betreffen. Sie können die Realität ja gar nicht argumentativ erfassen. Die Aussage, ein Tier verhält sich in einer bestimmten Situation so, dass es für sein Überleben nützlich ist , ist eine weder falsifizierbare noch verifizierbare Aussage, denn man kann ja nicht sagen ob das Verhalten tatsächlich nützlich war bzw. in spe nützlich sein wird. Es ist eine unzweckmäßige Aussage. Eine Aussage: jedes spezielle Tier verhält sich in einer bestimmten Situation artspezifisch gleich, ist allerdings falsifizierbar!

Der Aspekt der Nützlichkeit kann gar nicht entschieden werden. Darum kann eine allgemeine Behauptung in diesem Sinne, wie sie auch in evolutionstheoretischen Abhandlungen immer wieder auftaucht, keine gültige Beschreibung der Realität oder Annährung an die Wahrheit beanspruchen. Das ist reine Spekulation auf der Basis evidenter Einsichten. Insofern ist Ihre Kritik am Positivismus und Empirismus gerechtfertigt.

Der Empirist macht Experimente und Beobachtungen als Grundlage seiner wahren Erkenntnisse verantwortlich, bzw. beruft sich auf Experimente. Der Positivist erhebt die Leistung der Sinnesorgane, die Beobachtung in den Vordergrund, der Intellektualist das vorurteilsfreie Denken als sicheren Weg für wahre Erkenntnisse. Je nach gustus ist demnach auch Verschiedenes nützlich zur wahren Erkenntnis. Wahre Erkenntnis beanspruchen nämlich alle! Die Nützlichkeit korreliert somit nicht mit Empirie oder Hermeneutik sondern mit evidenten Erlebnissen!!

H.W.:

Der Komplex der Antedatierung von Sinnesreizen bringt mich zu folgenden weiteren hypothetischen Schlußfolgerungen:

Nur derjenige Teil unserer selbst, der unsere Materie bis hinauf und einschließlich des Instinktvermögens umfaßt, lebt in einer echten Gleichzeitigkeit, "Echtzeit"; hingegen ist jene "Gleichzeitigkeit", in der sich unser Fühlen und Denken abspielen, nur eine fingierte. Die Zeiterfordernis dieser geschichteten Prozesse über diejenigen in der leiblich-reflexhaften Gleichzeitigkeit hinaus führt zu einem "Hinterherlaufen", wir leben nicht in der real wirklichen Gleichzeitigkeit, sondern in einer dazu zeitverschobenen "Bewußtseinswirklichkeit".

Darauf verweisen insonderheit unsere Reflexe, die wir regelmäßig erst nach ihrem Ablauf mit dem emotionalen bzw. rationalen Bewußtsein einholen. Wir bekommen die berühmten "weichen Knie" erst nach einem schockierenden Ereignis, und wenn wir nach einer lästigen Stechfliege auf unserer Haut schlagen, so untersuchen wir danach, worum es sich wohl gehandelt hat.

Die gesamte Wirklichkeit von Emotio und Ratio selbst ist eine synthetische, allein durch die interpretierenden Individuen hervorgebrachte – ohne solche interpretierende Individuen entfiele auch eine derartige Wirklichkeit aus Empfindung, Gefühl, Ding- und Wesenswelt.

Ein weiterer damaliger Abschnitt widmete sich der Quantenphysik und eventuellen Konsequenzen für den Mesokosmos – notwendig ein wenig spekulativ, aber wo wären wir mit der Wissenschaft heute ohne Spekulation? (Übrigens hat der Ausdruck erst nach Schelling seinen negativen Beigeschmack erhalten, vorher war er positiv besetzt!)

Quantenphysik und Bewußtsein

Dieser Zusammenhang wird – wie ich aus mancher Diskussion ersehe – meist völlig falsch gesehen, entweder materialistisch in einer Reduktion des Bewußtseins auf Quantenphysik, oder idealistisch bzw. mystisch als "Hintertreppe Gottes". Ganz von der Hand weisen möchte ich einen Zusammenhang zwischen Mikrokosmos und Mesokosmos allerdings nicht:

Das Verhalten der Quanten (zu denen doch wohl alle Energieabstrahlungen wie Photonen, aber auch Radio- und Röntgenwellen u.a. zu zählen sind – Alpha-, Beta-, Gammastrahlung) findet auf einer qualitativ ganz anderen Ebene statt als solches von Molekülzusammenballungen wie Menschenleiber :-))) Zu bedenken wäre da denn auch der nötige Energieeinsatz nach E = m x c2, der nötig wäre, um einen solchen delikaten Körper wie den menschlichen auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen.

Mir kam aber in diesem Zusammenhang ein anderer Gedanke: wäre es nicht denkbar, daß sich das Leben dieser problematischen Quantenprozesse bedient, in denen es gar den Eindruck macht, als ob die Botschaft dem Empfänger bereits vor deren Absendung bekannt sei? Ich meine hier das, was ich als "Synergie" oder "Vorauswissen in vernetzten Systemen" bezeichne – und ziehe hier eine Analogie zur Gehirnaktivität: Neuronen arbeiten sowohl auf chemischer (Neurotransmitter) als auch auf der elektrischen Basis (Reizleitung); wäre es nicht denkbar, daß auch noch diese Quantenprozesse im Zusammenspiel von Neuronen und deren Netzen, oder auch innerhalb der genetischen Informationsweitergabe (etwa bei der DNA-Anlagerung und den dabei stattfindenden "Mutationen") eine noch "tiefere" und uns bislang uneinsichtige Rolle spielen? Also eine Frage von "Feldtheorien" ("Felder" sind ja in gewisser Weise den "Netzen" etwa von Neuronen ganz ähnlich, aber eben auf qualitativ anderer Stufe, so daß sich hier eine Analogie geradezu aufdrängt), wobei alle dem Feld zugehörigen Quanten in einem energetischen "Informationszusammenhang" stehen, so daß jede Zustandsänderung des einen Quantums per se und in Einem Zustandsänderungen bei anderen Feldquanten hervorruft? Nun, alles etwas spekulativ – aber so ließe sich das "vorauswissende" Quantenverhalten zumindest mal hypothetisch verstehen (und vielleicht auch noch die Gravitation im Makrokosmos, als ein ebensolches "kommunikatives Feldverhalten" mittels "Massenwirkung")?

Damit wäre auf dem Feld der Quanten natürlich die Kausalität des Mesokosmos, die für jede Wirkung eine vorhergehende Ursache annimmt, in gewisser Weise ausgehebelt, da hier Ursache und Wirkung nicht zu trennen sind, da sie in solchen Feldern stets zugleich, als Eines auftreten, Ein Prozeß sind: die Zustandsänderung des einen Qantums hat nicht zur Folge die Änderung eines anderen, wie es unsere Kausalität beschreiben will, vielmehr sind Ursache und Wirkung austauschbar, weil ein einziger Prozeß. Würde natürlich auch gut mit dem Newtonschen actio = reactio zusammengehen, das für das Verhalten von Massen gilt. Mithin hätte man auch noch die Kausalität selbst zu kategorisieren ...

Und man hätte damit eine weitere Möglichkeit, das synergisch-evolutionäre Bauen der Genetik zu unterfüttern, in dem Natur in vielen Fällen "vorauszuwissen" scheint, worauf sie "hinzuzielen" scheint und so Entwicklungen hervorbringt, die mit zufälliger Mutation und Selektion nicht eigentlich erklärt werden können.

Konkret: Denkt man etwa die DNA "feldmäßig", so würde dann eben nicht nur "zufällig" an einem bestimmten Basenpaar per "Mutation" ein Austausch vorgenommen, sondern ein solcher Austausch an einer Stelle würde per se ipsum auch weitere dem "Feld" zugehörige Basenpaare beeinflussen und so wesentlich schnellere und wirkungsvollere Änderungen hervorbringen, als wenn jede einzelne Basenveränderung durch eine "zufällige Mutation" erklärt werden soll.

Subliminale Wahrnehmung III – Libet

Sie betonen in Ihrem letzten Schreiben die Bedeutung der Libetschen Versuche, und rennen damit bei mir offene Türen ein, wie sich bereits aus dem bisher Gesagten ergeben sollte.

Ein weiterer Grund für die folgenden Überlegungen ist auch, daß ich es mir zur guten Gewohnheit gemacht habe, bevor ich ein neues wichtiges Buch angehe, mich selbst meiner eigenen Denkweise über die zu erwartenden Problemkreise zu versichern, um die eigene Position sowohl gesichert als auch parat zu haben – und dies ist vor der Lektüre des neuen Damasioschen Buches von besonderer Bedeutung, angesichts der "Lorbeeren", die allseits auch von den bedeutendsten Kollegen darauf gehäuft werden (habe ich Ihnen bereits zugesandt).

An dieser Stelle möchte ich nochmals auf meine Antwort 5, Seite 6 Mitte bis 12, vom Mai 2000 verweisen, um hier keine Wiederholungen hinsichtlich neuronaler Verarbeitung, Instinkt, Emotio und Ratio bringen zu müssen.

Der Kern des Libetschen Problems scheint es mir zu sein, wie es unser Gehirn schafft, die verschiedenen Sinnessignale, die etwa bei Tast- und Sehsinn zum Eintreffen im Neokortex eine verschieden lange Zeit brauchen, diese dennoch zu einem einzigen Eindruck gehörig "zusammenzuhalten". Nun, hier gibt es die Theorie der "Zeitfenster", zusammenhängend mit den "Bewußtseinsintervallen" von ca. 3/10 Sekunden. (Hierher würde ich übrigens auch das Phänomen rechnen, daß wir auf rein sinnlicher Basis "mit einem Blick" als maximalen Bestand einer Einheit höchstens 4-5 Gegenstände einer Art "abzählen" und darüberhinaus nur schätzen können – auch dies stellt ja in gewisser Weise einen "Intervall" dar.)

Als weitere Voraussetzung ist festzuhalten die gleichzeitig parallele und serielle ("schichtweise") Verarbeitung von Sinnessignalen im Neokortex und deren verschiedene Rückkoppelungen untereinander bzw. deren jeweilige Vernetzung mit Gedächtnis- und Bewertungszentren.

Wann wird das Problem der zeitlichen Korrelation verschiedener Sinneseindrücke auftauchen? Doch wohl dann, wenn ein lebendiges Individuum das Stadium des Schlüsselreizes, als der rein genetischen Instinktsteuerung überwunden haben wird. Denn das Kriterium des Schlüsselreizes ist es ja, eindimensional zu sein, d.h., auf ein ganz bestimmtes Sinnessignal mit einer ganz bestimmten genetischen Reaktion zu antworten (wobei weder instinktmäßiger Sinnesempfang noch die Reaktion zu streng als vorgegeben anzusehen sind; vielmehr wird beides innerhalb gewisser Bandbreiten durch die jeweilige Umwelt modifizierbar sein – man denke etwa an die unterschiedlichen Gesänge der Vögel). Jedenfalls: Solange die Reaktion auf einen Schlüsselreiz nur mit einem Sinnesorgan verbunden ist, bedarf es keiner zeitlichen Zuordnung verschiedener Sinnesreize; vielmehr wird sich die Handlungsauslösung, wenn etwa zwei verschiedene Sinnesereignisse gleichzeitig auftreten, auf die per Schlüsselreiz reagiert werden muß, so ähnlich entschieden werden wie dies schon Nietzsche meinte: als ein "Kampf um die Macht" der beiden Reize ("Willensatome"), sprich, welcher sich als "stärker" erweist, noch anders gesagt, der von der Genetik her mit einer höheren Wertigkeit (und damit wohl mit einem höheren Reiz-Potential) auftritt als ein anderer.

Das Problem der Korrelation tritt erst auf, wenn eine Selbstauswertung der verschiedenen Sinnessignale mittels der sich über dem Instinktsystem erbauenden Emotio möglich geworden ist, da sich die Ergebnisse der verschiedenen Sinnesorgane (samt der für die Empfindung geöffneten vorher rein vegetativen bzw. instinktmäßigen Signale) nun "gleichzeitig" für das Individuum "wahrnehmbar" einstellen. Das Nebeneinander dieser verschiedenen Sinnesereignisse macht es aber notwendig, "Zusammengehöriges" einander zuzuordnen, sowohl was die zeitliche als auch was die "sachliche" Schiene anlangt – insbesondere wird es so sein, daß aus einer zeitlichen Schiene zunächst einmal die sachliche und damit dasjenige ergibt, was wir "Kausalität" nennen: zeitlich sich direkt nach- und auseinander Ergebendes wird zunächst auch als sachlich zusammenhängend vermutet. Das verweist noch einmal darauf, wie wichtig es ist, die zeitlich zusammengehörigen Wahrnehmungen trotz unterschiedlicher Dauer des Signalflusses und evtl. auch Verarbeitung trotzdem wieder in ein "Wahrnehmungsfenster" zu bekommen, da sonst eine funktionierende Reaktion auf Umweltereignisse gar nicht möglich wäre. Gleichzeitig birgt diese synthetische nachlaufende Zusammenfassung von Signalen natürlich die Gefahr von falschen Relationen und damit falscher Kausalität, wie der Mensch in seiner frühen Verstandesphase schlagend beweist.

Ich denke, wir haben hier auch die stammesgeschichtliche Grundlage aller "Synästhesie" vor uns.

Ausgangslage Damasios für Bewußtsein sind jene "Karten" des Körpers und seiner Organe im Kortex, die den Zustand des "Leibes" in der Zentrale Gehirn repräsentieren und notwendige Voraussetzung einer Zentralsteuerung sind. Diese finden sich gut beschrieben bereits bei Changeux ("Der neuronale Mensch") – neu bei Damasio dürfte sein, daß er diese Karten zur Grundlage des Bewußtseins als eines "Proto-Selbst" macht. Dieses "Bewußtsein" entsteht in Übereinstimmung mit meiner eigenen Sehweise wie etwa auch Kanitscheiders "Chemie der Gefühle" (in "Von Lust und Freude" – wobei auch hier die doppelte Begrifflichkeit doch wohl auf deren Kategorie-Unterschied verweist, wenn der Titel denn Sinn machen soll!) durch die analoge Selbstbewertung ("Emotio-Potentiometer": nach meinem Vorschlag ein "Abgriff" der jeweiligen "Schüttung" der freigesetzten Neurotransmitter – Rezeption der chemischen Signale, daher auch das "Ziehende" und "Dauernde" der Empfindungen: es wird ja ein zeiterfordernder Anstieg bzw. Abfall von chemischer Konzentration rezipiert) der "kartierten Ereignisse" sowie die Reflexion der Ausschläge dieses Potentiometers: Selbstwahrnehmung der Empfindung als Proto-Selbst. Mit eben diesem "Proto-Selbst" wird auf Basis der Selbstempfindung auch das individuelle Lernen möglich – und eben dieses Lernen bedarf bereits der "Empfindungskontrolle", also der Rückkoppelung von Sinneseindrücken etwa taktiler und optischer Art, die daher bereits parallelisiert sein müssen.

Könnte nicht auch noch diese "Erstellung von Zeitfenstern" etwas sein, was das Gehirn im "learning by doing" erzeugt? Sinnlicher Reiz und parallele Wahrnehmung "gewöhnen" sich aneinander?

Somit scheinen jedenfalls Zeitkorrelation und Beginn des Empfindungsbewußtseins Hand in Hand zu gehen.(19) Um dies nun mit jenen angesprochenen "Zeitfenstern" zusammenzubringen, könnte es sinnvoll sein, sich des Kinematographen als Analogon zu bedienen: damit manipulieren wir ja selbst unsere Sinneseindrücke, indem wir durch eine Mindestanzahl von schnell genug nacheinander gezeigten Bildern, die wir nicht mehr in ihre Einzelheit auflösen können (s. die 3/10 Sekunden!), die Illusion von Bewegung erzeugen. Auf dem jeweiligen Bild und der zugehörigen Tonspur sind all jene Informationen zusammen untergebracht, die den Schein einer stetigen Wirklichkeit ausmachen.

Wie bringt nun aber das Gehirn den Bild- und den Toneindruck zusammen? Auch hier bin ich sofort wieder geneigt zu sagen: durch Lernen! Wir lernen bereits sehr früh, nämlich bei der Konditionierung unserer Sinnesorgane, welche Reize von welchen Quellen herkommen, und welche Reize miteinander auftreten. (20) Auch hier wird also zu trennen sein zwischen erlernten Synästhesien und solchen, die sich direkt aus der "Hardware" des Systems ergeben.

Denn dazu muß in einem auf Synästhesie angelegten System wie bereits der Emotio (die ja schon den höheren Tieren Innen- und Außenreize gleichzeitig zur Verfügung stellt und bewertet) jene Elastizität vorhanden sein, trotz unterschiedlich langer Signalwege etwa eines taktilen Reizes an der großen Zehe und des zugehörigen Seheindrucks diesen doppelten Reizvorgang als eines und identisches Geschehen zu interpretieren.

Vielleicht muß dazu insbesondere noch auf eine weitere Voraussetzung achten? Im emotional wie rational wachen Zustand sind ja alle Wahrnehmungssysteme des Gehirns (die "Karten") ja stets und ständig mit den ihnen zugehörigen Körpersystemen verbunden und in stetem Signalaustausch, der uns unterhalb der Latenzschwelle von Reizen aber natürlich nicht bewußt wird; bewußt wird nur die Änderung des Reizpotentials ab einer bestimmten Stärke. Auf Basis dieses Vorzustandes der Vernetzung, in der das Gesamtsystem über alle Sinne hinweg "zu sich selbst" bereits in "steter Gleichzeitigkeit" ist, wird es vielleicht leichter verstehbar, daß Potentialänderungen verschiedener Sinnesreize als zusammengehörig interpretiert werden können, da diese "Gleichzeitigkeit" im System, das "in Kenntnis" der unterschiedlichen Signalwege ist, bereits vorher vorhanden ist – will sagen, der stete und latente Signalfluß berücksichtigt bereits und immer die unterschiedlichen Signalwege. Für die sich dann im Empfindungs- bzw. im rationalen Bewußtsein meldenden Reizpotentiale gilt dann aber gar nichts anderes als vorher im latenten Zustand: sie kommen im "geregelten Strom" der verschiedenen Sinnesparameter "gleichzeitig" an, weil sich das Gesamtsystem stets im Zustand einer simulierten Gleichzeitigkeit befindet.

Mir persönlich genügt diese Erklärung vorläufig, um das Libetsche Problem in meine Sehweise einzubetten – nun noch wenige weitere Bemerkungen zu Ihrem letzten Schreiben (natürlich steht ja all das Vorige dazu bereits in einem direkten Zusammenhang, meine ich):

Da habe ich mich zuallererst bei Ihnen für tiefgehende Information zu bedanken, die Ihnen hier natürlich in ganz anderer Weise zu Gebote steht als mir. Jedenfalls scheinen wir in der Zurückweisung des Flohr’schen Ansatzes als eine Einzelbeobachtung weit überdehnend und als kruder Reduktionismus ganz offenbar recht einig zu sein. Bewußtsein wird zwar sicherlich etwas mit aktiven und über diese Aktivität verbundenen Neuronenbereichen zu tun haben, aber dies macht es noch nicht aus – das geht allein schon schlagend daraus hervor, daß uns ja das meiste, was die Sinne und das Vegetativum ins Gehirn liefern, nicht bewußt wird, latent bleibt, und doch müssen auch dazu bereits als "Grund des Bewußtseins" die Neuronalbereiche des Gehirns aktiv verbunden, auf deutsch, wir selbst "wach" sein, was ein ganz anderer Zustand ist als der des Schlafes. Und doch ist ja auch "Wachsein" nicht das, was wir unter Bewußtsein verstehen, denn Bewußtsein, das haben wir immer nur "von etwas", wie ich Ihnen schon mal schrieb.

Der Satz Dawkins ist von verzwickter Logik und erinnert mich an die Rätsel der alten Griechen(21) ... ich glaube aber, daß man den Sachverhalt auch einfacher (?) ausdrücken kann; Bewußtsein entsteht dann, wenn synthetisch gewonnene Parameter (wie etwa der Abgriff der Konzentration von Neurotransmittern), in welchen sich wiederum bereits eine ganze Geschichte von erlernten Aktionen und Reaktionen und sich damit der Zustand eines komplexen Systems ausspricht, der sich eben damit abgreifen läßt, in der Weise reflektiert werden, daß sich das System in diesen Reflektionen repräsentiert erlebt und dadurch ein "Selbst" ausbildet. Kein Bewußtsein ohne das, was ich früher "e.v-migratio" nannte, heute von mir eher "Übertragung der Leitungsfunktion" benannt. Bewußtsein ist niemals nur ein funktioneller, sondern notwendig immer auch ein existentieller Vorgang, also einer des "Lebendig-Seins".

Anmerkungen:

1 Es macht als ebensowenig Sinn, nach dem "Kern des Bewußtseins" zu suchen wie nach der "Seele", beides sind unterscheidende Benennungen von bewußt(!) gewordenen Vernetzungszuständen aus jeweils verschiedener Perspektive.

2 Insofern hat es mich sehr gefreut, daß Sie mit meiner Theorie vom rezeptiven und reflexiven Kreisgang und Ende der Metaphysik übereinstimmen.

3 Wie "hell" oder "dunkel" dieses Bewußtsein des eigenen Wollens auch sein mag; nicht angesprochen soll hier einstweilen werden die Frage nach dem Wesen des Willens selbst sowie seiner Determiniertheit – das ist wieder eine andere große Diskussion, der ich in der Zukunft auch noch mein Interesse widmen will.

4 ... und es uns so lange gestattet hat, über das tierische Empfindungsbewußtsein hinwegzugehen und die Mitgeschöpfe als Sachen zu mißbrauchen.

5 s. meinen Homepage-Artikel zu Singers "Praktischer Ethik": "Gleichheit für Tiere?"

6 Diesen von Bergson entlehnten Begriff verwendete ich vormals für den individuellen Sitz der Leitungssphäre, bin aber davon abgekommen, weil er allzuleicht metaphysisch mißverstanden wurde. S.a. meinen neu auf der Homepage eingestellten Text "Versuch einer Kategorisierung des Geistes"

7 An dieser Selle darf ich an das bereits übersandte berühmte Zitat des Sokrates erinnern, der es für verkehrt hielt, sich um andere Dinge zu kümmern, solange er sich noch nicht selbst kennte ...

8 Diese elektrischen "Fähigkeiten" der Moleküle kommen dann etwa bei Neuronenzellen zum Einsatz, indem sie maßgeblich an der Zellkommunikation beteiligt sind, etwa bei den Jonenkanälen, so daß sich das Gehirn sowohl der elektrischen als auch der chemischen Eigenschaften seiner Materie bedient, letzteres insbesondere durch die Konzentrationsänderung von Neurotransmittern, die einen engen Zusammenhang mit dem Emotio-Potentiometer haben sollten. Und ebenso, wie die Elektrizität die Basis der Zellchemie bildet, ganz parallel fundiert die Emotio die Ratio.

9 Hier dazu ein (mir erst kürzlich begegnetes und bereits älteres) Beispiel aus Thomas S. Kuhn, "Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" (1962) – Suhrkamp TB Wissenschaft:

"Die Analogie zwischen der Evolution von Organismen und der Evolution wissenschaftlicher Ideen kann leicht zu weit getrieben werden. Doch im Hinblick auf [den Prozesß des Paradigmenwechsels] ... ist sie fast vollkommen. [Dieser] Prozeß ... ist die durch einen Konflikt innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft herbeigeführte Selektion des geeignetsten Weges, die zukünftige Wissenschaft zu betreiben. Das Ergebnis einer Folge solcher revolutionären Selektionen, die mit Perioden normaler Forschung abwechselten, ist das wunderbar geeignete System von Wekzeugen, das wir moderne wissenschaftliche Erkenntnis nennen. Die aufeinanderfolgenden Stadien dieses Entwicklungsprozesses sind durch eine Steigerung der Artikulation und Spezialisierung markiert. Und der ganze Prozeß kann so vor sich gegangen sein, wie wir es heute von der biologischen Evolution annehmen, ohne den Vorteil eines wohlbestimmten Ziels, einer überzeitlichen, feststehenden wissenschaftlichen Wahrheit, von der jedes neue Stadium der Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnis ein besseres Abbild ist." (S. 184)

10 Übrigens ließe sich auch von hier aus ein Weg zur mehrwertigen Fuzzylogik bahnen – würde sich Evolution nur mittels strenger Identität (= 100%ige Übereinstimmung von Gleichem) er-eignet haben, hätte sie nicht stattgefunden; insofern könnte es dann zumindest einen metphorischen Zusammenhang zwischen der Unschärfe von Quantenreaktionen und halamischen Strukturen geben ...

11 "Was Du nicht willst, dam man Dir tu‘, das füg‘ auch keinem andern zu!"

12 Für die Ethik zeigen das etwa das Vorhandensein einer "UNO" und die Deklaration der Menschenrechte; ob und wie überwiegend diese Ethik zur Geltung gebracht werden kann, ist selbst wieder eine ganz andere Frage, da alle die sie selbst basierenden Vorvermögen, insbesondere Emotio und Verstand, ja damit nicht gegenstandslos geworden sind, sondern in den kategoriell verschiedenen Individuen in je eigener Mischung zum Ausdruck kommen. Betrachten wir das eine Kategoriestufe tiefer, so sehen wir auch heute noch, daß sich sehr viele Menschen nicht so sehr von den Nützlichkeits- und Machtbestrebungen des Verstandes leiten lassen, sondern zuletzt von den Vor-Urteilen ihrer Emotio abhängen, in deren Dienst Verstand und Vernunft stehen.

13 Ich setze bewußt (sic) nicht den Begriff "unbewußt", da diesem seit Freud ein Geruch von Metaphysik anhaftet, dem ich dadurch entgehen möchte. Dies "Unbewußte", noch mehr dessen Bruder, das "Unterbewußte" wurden seither oft als Reservoir aufgefaßt, aus dem so hübsche Metaphysika wie das "Es" und das "Über-Ich" erwachsen sollen ...

14 Insofern dies für unsere Instinkte zweifelhaft sein könnte: hier interpretiere ich meine eigene Introspektion wie auch Fremdbeobachtungen so, daß sich uns diese via Empfindung mitteilen und über diese dann auch in unsere Ratio durchdringen. So macht sich etwa der Geschlechtstrieb (als der Hauptinstinkt) im Individuum kenntlich durch ein emotionales "Ziehen", wie dies auf ihre je eigenene Weise auch andere Empfindungen tun.

15 Diese Rückkoppelungen bilden wohl dasjenige, was ich unter "Standleitung" zwischen Wahrnehmung, beteiligten Sinnesinterpretationszentren und Kurzzeitgedächtnis anspreche, mit der auch dasjenige möglich wird, was ich im Verhältnis von "Karteikarte" und "Karteireiter" zu schematisieren versuche, wodurch "Rückfragen" (sic) hinsichtlich spezieller Gehalte der Wahrnehmung ebenso wie das eigentliche "Fragen" möglich werden. Hier wäre dann auch der Ursprung der "Neugier" zu orten, wenn solche "Rückfragen" auf ein "Informationsloch" stoßen.

16 Das ist mit Sicherheit der Grund, warum sich die überwiegende Mehrzahl der Menschen nach wie vor auf die Empfindung als den eigentlichen und dunklen Grund ihrer Selbstwahrnehmung und als letzteigentliches Bewertungszentrum festgelegt erfährt ("intellektuelle Grenzwerte", in denen sich die Ratio auf die Emotio beruft).

17 "epigenetische Mutation" meint hier eine Veränderung in der Ausdifferenzierung, hier insbesondere in der Ausbildung des Gehirns durch die beteiligten Steuer-Gene.

18 als Reaktion auf die vollständige Rezeption und Reflexion der Emotio im tierlichen Neokortex sowie als "Antwort" auf jenes "Datenangebot", das sich damit in den der Emotio zugehörigen Cortex-Schichten herausgebildet hat und eine erneute "Zusammenfassung" der "Eigenschaften" als "Dinge" erlaubt.

19 Dies auch deshalb: die Emotio als rezipierende und reflektierte Empfindung erbaut sich über die sie basierenden System des Vegetativum und des Instinkts; das Übereinander der Systeme bedeutet sicherlich aber auch ein ("serielles") Nacheinander der Informationsverarbeitung, woraus sich wiederum ein Zeiterfordernis für die emotionale Bewertung im Abgleich mit Vorbewertungen bzw. Neubewertungen im Abgriff der Neurotransmitter ergibt. Diese Problematik der "Gleichzeitigkeit" wird im übrigen am schönsten sichtbar bei unseren rationalen Vermögen Verstand und Vernunft selbst: deren "Informationsverarbeitung" dauert im Gegensatz zur unbewußten bis hin zur Emotio dermaßen lange, daß wir seither mit diesen Vermögen aus der "Gleichzeitigkeit" völlig herausgefallen sind ... aber eben auch die "Gleichzeitigkeit" der Emotio ist bereits eine synthetische, eine vom Gesamtsystem simulierte, und keine "Echtzeit" – ebenso, wie die "Werturteile" der Emotio selbst "synthetisch" sind. und nichts "Ursprüngliches" und "Unhinterfragbares", wie die meisten Menschen einschließlich so manches Philosophen glauben.

20 Daß die Zuordnung und Parallelisierung von mehreren Außenreizen durch Lernen erfolgt, zeigen sinnfällig Blitz und Donner; die Menschheit brauchte recht lange, um zu lernen, daß sich beide Phänomene einem Geschehen verdanken.

21 Übrigens halte ich ihn auch nicht für richtig, denn ich spreche Tieren ja durchaus Bewußtsein zu, als Empfindungsbewußtsein – in diesem ist jedoch keinerlei "Modell der Simulation" enthalten.