Geist und Bewußtsein III

Anmerkungen zu Damasios Buch:
"Ich fühle, also bin ich."

Helmut Walther (Nürnberg)


Zunächst möchte ich an dieser Stelle auf verschiedene Rezensionen dieses Buches hinweisen, die Sie mit dem Inhalt des Buches im Überblick gut bekanntmachen können. Eine Rezension stammt von Dr. Wolf Pohl, Konstanz, in der Mitgliederzeitschrift "Aufklärung und Kritik" der Gesellschaft für kritische Philosophie, Nürnberg, vom Frühjahr 2001. Und mit diesem Link finden Sie weitere Rezensionen und Stimmen zum Buch auf dieser Seite.


"Sentio ergo sum"

Der englische Originaltitel des Buches von Damasio(1) The Feeling of What Happens (das Gefühl dessen, was sich ereignet) wird vom deutschen Übersetzer mit der Konterkarierung des berühmten Descart’schen cogito ergo sum wiedergegeben: Ich fühle, also bin ich. Leider wird mit keinem Wort der Herkunft dieser Sentenz gedacht, die sich doch bereits bei Ludwig Feuerbach findet, dem ersten Denker, der die Philosophie auf die Anthropologie gründen wollte – welches Unternehmen uns heute in abgewandelter Form wiederum unter dem Begriff "Neurophilosophie" begegnet: Der Mensch und sein Denken sollen naturwissenschaftlich erkannt werden und in dieser Erkanntheit zur Grundlage der Philosophie gemacht werden.

"Aber das wesentliche, der ursprüngliche, der notwendige mit dem Ich verknüpfte Gegensatz des Ich – ist der Leib, das Fleisch, der Konflikt von Geist und Fleisch, nur der allein, meine Herren, ist das oberste principium metaphysicum, nur der allein das Geheimnis der Schöpfung, der Grund der Welt." Aus dieser Verknüpfung der Gegensätze im und als Leib entspringt als "die erste, die allgemeine Wissenschaft ... einzig die Psychologie, als welche keine andre Aufgabe hat, als das Ich zu deklinieren, um aus den verschiedenen Verhältnissen des Ich in sich selber verschiedene Prinzipien zu deduzieren." "Ich bin, ist Sache des Herzens, ich denke – Sache des Kopfes. Cogito ergo sum? Nein, sentio ergo sum. Fühlen ist nur mein Sein. Denken ist mein Nichtsein, Denken ist die Position der Gattung, die Vernunft das Nichts der Persönlichkeit."(2)

In dieser Hinsicht erhält das Wort von Karl Löwith(3)

"Und doch wäre es ein großer Irrtum zu meinen, man könnte auf dem hohen Roß einer verstorbenen Philosophie des Geistes über den »Materialismus« des 19. Jahrhunderts hinwegsetzen. Feuerbachs Versinnlichung und Verendlichung von Hegels philosophischer Theologie ist schlechthin zum Standpunkt der Zeit geworden, auf dem wir nun alle – bewußt oder unbewußt – stehen."

noch einmal einen ganz eigenen Sinn: Es ist nicht nur als ein (angeblicher) Niveau-Verlust anzusehen, wenn wir von der metaphysischen Reflexionshöhe des Idealismus "herabsteigen" in die Niederungen des Feuerbachschen "Materialismus"; vielmehr steht die moderne wissenschaftliche Auffassung des Menschen, insbesondere was seinen Geist anlangt, in einer direkten Verbindungslinie zum Feuerbachschen Denken, das insoweit bis heute weit unterschätzt bleibt.

Um Sie mit dem Inhalt des Buches vertraut zu machen, ohne doch zu sehr von meiner Seite her vorzugreifen, stelle ich Ihnen hier verschiedene Rezensionen des Buches vor, das ja in allen großen deutschen Feuilletons besprochen wurde – Damasio selbst hat hier dazu auch diverse Interviews gegeben (auch daraus ein kurzer Ausschnitt). Die erste Rezension stammt aus dem Kreis der Mitglieder der Gesellschaft für kritische Philosophie, Dr. Wolf Pohl, die zweite von dem amerikanischen Neuropsychologen Douglas F. Watt; eine weitere wurde hier in der Nürnberger Zeitung von Holger Jergius veröffentlicht. Sie sollen beispielhaft für die unterschiedliche Aufnahme des Buches stehen, die von eher skeptischer Zurückhaltung bis zu jubelnder Zustimmung reichte, wie kurze Statements zu dem Buch von bekannten Naturwissenschaftlern bzw. besprechenden Zeitschriften zeigen.

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Damasio führt in seinem Buch einige neue Begriffe ein bzw. gebraucht er Begriffe in einem eigens definierten Sinn – dies ganz parallel dazu, wie auch ich selbst einst genötigt war, für meine eigenen Bemühungen um die "Entschlüsselung des Geistes" ein eigenes Begriffskorsett samt entsprechender Unterscheidungen einzurichten.(4) Gleich zu Anfang sei darauf verwiesen, daß Damasio in Vielem zu ganz ähnlichen Differenzierungen gelangt wie ich selbst. Insbesondere in der strikten und erkenntnisstiftenden Trennung von Emotion und Gefühl sowie in der Erkenntnis der rezipierenden und reflektierenden Gefühlswahrnehmung als "Gefühl vom Gefühl" unterscheidet er (Damasio S. 51:)

"... einen emotionalen Zustand, der nichtbewusst ausgelöst und ausgeführt werden kann; einen Gefühlszustand, der nichtbewusst repräsentiert werden kann; und einen bewusst gemachten Gefühlszustand, das heißt, einen Zustand, in dem der Organismus weiß, dass er sowohl Emotion als auch Gefühl hat."

Andererseits fehlen einige Verhältnisse des menschlichen Geistes völlig bei ihm, so etwa die potentiometerhafte Wahrnehmung der Empfindung, oder die Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft – was großenteils sicherlich daher stammt, dass er weniger den menschlichen Geist selbst als das Bewußtsein unter die Lupe nehmen will. Diese Trennung bereitet notwendig gewisse Probleme, denen hier auf die Spur zu kommen sein wird; denn es scheint, daß bei Damasio das Bewußtsein zu sehr als "Etwas" verselbständigt wird, und dem auf diese Weise Leistungen zugeschrieben werden, die eigentlich dem Geist zugehören – obwohl er natürlich ausdrücklich zwischen Intelligenz, Arbeitsspeicher u.a. einerseits und dem Bewußtsein andererseits unterscheiden will.

Stellen wir zunächst die verschiedenen "Begriffswelten" einander gegenüber und versuchen sie miteinander zu verbinden.

Den Zusammenhang der "Ebenen der Lebensregulationen" beschreibt Damasio wie folgt (S. 73):

HÖHERE DENKPROZESSE

 

Ýß

Komplexe, flexible und individuell zugeschnittene Reaktionspläne werden in bewussten Vorstellungen formuliert und unter Umständen als Verhalten ausgeführt.

BEWUSSTSEIN



GEFÜHLE

Ýß

Sensorische Muster, die Schmerz, Lust und Emotionen signalisieren, werden zu Vorstellungen.

EMOTIONEN

Ýß

Komplexe, stereotypisierte Reaktionsmuster, zu denen auch sekundäre Emotionen, primäre Emotionen und Hintergrundemotionen gehören.

BASALE
LEBENSREGULATION

Relativ einfache, stereotypisierte Reaktionsmuster, zu denen Stoffwechselregularien und Reflexe gehören, der biologische Mechanismus der Prozesse, die zu Schmerz und Lust, Trieben und Motivation werden.

"Die basale Ebene der Lebensregulierung – die Überlebensgrundausstattung – umfasst biologische Zustände, die bewusst als Triebe und Motivationen, als Lust und Schmerz erlebt werden. Emotionen bilden eine höhere, komplexe Stufe. Die Doppelpfeile zeigen eine aufwärts- und abwärtsgerichtete Kausalbeziehung an. Beispielsweise kann Schmerz Emotionen auslösen, während einige Emotionen auch einen Schmerzzustand beinhalten können."

 

Dem entspricht recht genau, was ich selbst unter "dem Schichtenaufbau der verschiedenen Vermögen" verstehe, den ich hier verkürzt (und in der Begrifflichkeit leicht abgeändert) aus meinem Artikel "Versuch einer Kategorisierung des Geistes" entnehme (s. Anm. 4):

1. Leben schichtet sich mit und als DNS in Phylo- wie Ontogenese über das Vegetativum (unbewußtes Nervensystem), Instinkt (ein- beziehungsweise zweiseitig für Sensorik geöffnete Programme), Emotio-Empfinden (Innenwahrnehmung der hormonalen Steuerung, Traditon über "Spielen und Lernen"). Die vertikale Auffächerung erfolgt durch axonale, die horizontale Verbindung der Neokortexschichten durch dendritische Vernetzung.

2. Die Verstandeskategorie des Menschen basiert auf der ausreflektierten Emotio-Empfindung der Tiere: Höhepunkt der tierischen Emotio-Kategorie ist die interaktive Konditionierung von Tradition innerhalb der Art über die Selbstwahrnehmung der hormonalen Steuerung (Emotio-Potentiometer nach positiver und negativer Bewertung unter Auswertung der hormonalen "Schüttung"). Löst dies Potentiometer beim Tier die erforderliche Handlung direkt aus, so ist beim Menschen als neue Hemmung eine weitere vertikale Neuronalebene dazwischengeschaltet, der Verstand. Er eröffnet sich als neue Konditionierung, wird damit zur Innenwahrnehmung, als Sprache, Bild und Emotio-Bewertung miteinander vernetzt werden.

3. "Denken" ist in den verschiedenen Stufen ein unterschiedlicher Vorgang:
a) Rezeption des Verstandes: helles sich selbst Erleben und Reagieren
Reflexion des Verstandes: aktives ins Auge Fassen des Umseienden, um es zu bemächtigen.
b) Rezeption der Vernunft: Abstrahieren auf das "Wesen" der Dinge (Naturgesetze u. Metaphysik)
Reflexion der Vernunft: Rücknahme der Werte unter Beibehaltung der Abstraktion, Ding und Mensch werden frei.

Das Was des Denkens wird bestimmt durch das Wie, das Wie ist Folge der individuellen Selbstreflexion in Abhängigkeit vom Entwicklungs- und Traditionsbestand. Denken in allen Kategorien läuft ab im Bewußtsein; dies ist jener Innenspiegel, auf und als welcher sich zuallererst Verstand erbaute als jenes "Kombinationszentrum", mit und in welchem Sinnes- mit Sprachsignalen und Emotio-Bewertungen miteinander verknüpft wurden und werden, um sodann im Gedächtnis abgespeichert zu werden. Gedächtnis existiert in zweierlei Zugriffsweise:

a) als Sinnes- und Kategorial-Gedächtnis
b) als Personal-Gedächtnis.

Übereinstimmend unterscheiden Damasio und ich zwischen Emotion (bei mir meist Empfindung genannt) und Gefühl. Ohne daß Damasio auf die Rezeption und Reflexion der jeweiligen Vermögen eingeht, ist dieser Zusammenhang dennoch in seiner Auffassung enthalten. Wie seiner Tabelle zu entnehmen ist, führt er nämlich den Begriff des Bewußtseins erst jenseits des Gefühls ein – Bewußtsein ist für ihn ein "Gefühl vom Gefühl". Dies wiederum deckt sich recht genau mit meiner eigenen Auffassung: Bereits im höheren tierischen Bereich (Säugetiere) ist die reflektierte Selbstwahrnehmung der Empfindung vorhanden, mithin ein Empfindungsbewußtsein; der rezipierende Verstand wiederum nimmt in sich selbst diese emotionalen Bewertungen seines "sinnlichen Leibes" (wie Feuerbach sagen würde) wahr und bildet aus ihnen mittels seiner eigenen übergreifenden Speicherungen die Gefühle aus.

Um diesen Zusammenhang von meiner Seite her noch einmal klar zu machen, bringe ich hier ein längeres Selbstzitat(5):

Wie jeder Mensch an sich selbst feststellen kann – aber eben auch nur an sich selbst –, ist "Empfinden" die innere Selbstwahrnehmung der Auswirkung von über die Sinnes- und Körperorgane dem Gehirn zugeleiteten sensorischen "Ereignissen"; der Inhalt der Sinneswahrnehmung und die dieser zugemischte emotionale Bewertung sind etwas Verschiedenes. Ein die Latenzschwelle überschreitender und damit "Aufmerksamkeit" erheischender Sinnesreiz macht sich durch den Anstieg von positiver oder negativer Empfindung geltend, die das Individuum zu entsprechenden Handlungen bewegen soll. Was genau aber ist "positive" und "negative" Empfindung? Es ist der Abgriff des Ansteigens oder Abfallens von hormonalen Botenstoffen, ausgelöst durch sensorische oder körpereigene (vegetative) Ereignisse, die bereits auf der Ebene des Instinkts das Verhalten steuern. Der Abgriff der Differenzierung der Emotio als Selbstempfindung erlaubt erst ein abgestuftes Verhalten in der Reaktion: Der erfahrenen Empfindungsinstensität entspricht die dadurch hervorgerufene Intensität der Handlung.

Die neuronale Basis der "Chemie der Psyche" ist nicht Gegenstand [dieser Darstellung], zu den verschiedenen Botenstoffen und der Beeinflussung des Neurons an dessen Synapsen und Rezeptoren darf ich etwa auf die Darstellung von Crick(6) verweisen. Hervorheben möchte ich nur, daß die Empfindung nicht in dieser neuronalen Synapsenveränderung besteht, sondern vielmehr in deren abgreifender Reflexion als Empfindung. Denn diese Steuerung von Neuronen über Botenstoffe finden wir bereits bei Tieren, die noch nicht über Empfindung verfügen, weil ihnen diese Reflexion fehlt, so etwa bei allen Arten, die nur Instinkte haben wie etwa die Amphibien. Empfindung ist also die Auswertung der Erregungssteigerung, die durch die Anlagerung der Botenstoffe hervorgerufen wird.(7) Das "System Emotio" basiert zunächst auf den "Daten" des Instinkts und arbeitet mit diesen, wie dies ebenso im Verhältnis von Verstand und Emotio bzw. Vernunft und Verstand gilt. Hier wird schematisch der Schichtenaufbau der verschiedenen Vermögen sichtbar, wie wir ihn in der schichtweisen neuralen Verarbeitung wiederfinden. Zwar werden die neuronalen Signale parallel im 10 Millisekunden-Takt verarbeitet, aber bei diesen Verarbeitungsschritten projizieren die Neuronen insgesamt in serieller Reihenfolge nacheinander in andere Schichten des Cortex bzw. andere beteiligte Systeme des Gehirns, bei der Empfindung insbesondere ins limbische System, Amygdala und Thalamus. Rationales Bewußtsein sollte mithin im Feuern der letzten an der Endauswertung beteiligten Neuronen-Schichten und Systeme bestehen, das Bewußtsein von Empfindung und deren Intensität hingegen im Feuern der an der emotionalen Auswertung beteiligten Schichten und Systeme.

Instinkt erlaubt in seiner Festverdrahtung zwischen Sensorik und Reaktion das genetische Erlernen von Verhaltensmustern über die Art, hingegen gestattet die Steuerung des einzelnen Lebewesens über den Abgriff der zu- und abnehmenden chemischen Konzentrationen die individuelle Lernfähigkeit und damit ein subjektives Empfinden. Lernen selbst als eine individuelle Form der Speicherung besteht in der mehr oder weniger lang anhaltenden neuronalen Abspeicherung von Impulsmustern mittels Synapsenverstärkung im zugehörigen corticalen Feld. Die Interpretation dessen, was schließlich das jeweilige Bewußtsein "wahrnimmt", setzt sich immer zusammen aus dem aktuellen Sinnessignal mit der "entgegenkommenden Erinnerung", die durch einen vorbewußten Vergleich aufgerufen wird; ohne dieses Entgegenkommen und Vermischen fände kein Tier seine Nahrung, könnte der Mensch sich in seiner komplexen Umwelt nicht bewegen noch einen einzigen Buchstaben lesen. Wenn nicht alles täuscht, ist an diesem rückgekoppelten Vergleich insbesondere der Thalamus beteiligt, der mit allen bedeutenden Wahrnehmungsfeldern verbunden ist.

Die einzelnen Sinne wie auch der Körper und seine Organe selbst und ihre entsprechenden Repräsentationsfelder sind hier offenbar mit dem emotionalen System vernetzt; das Wiedererkennen eines Sinnessignales durch Vergleich mit dem zugehörigen Engramm ruft die entsprechende und konditionierte Bewertung dieses Ereignisses mit auf und gibt beim aktuellen Erreichen des "Grenzwertes" die entsprechende Gesamtreaktion frei. Was aber sind "Sinnessignale" auf der Ebene der Emotio? Es sind die Eigenschaften der Dinge, die vom jeweils zugehörigen Sinn erfaßt werden, und die entsprechende Empfindung auslösen. So gesehen ist auch noch jedes Bild eines Dinges auf empfindender Ebene nichts anderes als eine Eigenschaft von Dingen. Es sind Formen, Farben und Bewegungen von Dingen, die auf tierischer Ebene vom Sehsinn gespeichert und wiedererkannt werden, nicht aber die Dinge selbst. Auf diese Weise wird mittels Empfindung eine horizontal-additive Konditionierung verschiedener Sinnessignale möglich. Die Dinge in unserem menschlichen Sinne kristallieren sich erst heraus als eine vertikal-integrierende Eigenleistung des Verstandes: in der Verbindung der verschiedenen Eigenschaften der unterschiedlichen Sinnesergebnisse zu einem Wirkungsträger. Diese Zusammenfassung wird mit einem eigenen Begriff belegt, in einem eigenen Gehirnbereich repräsentiert und vom Verstand selbst bewertet (zunächst unter Anleitung der Emotio). Grammatik ist das Zueinanderstellen der Begriffe und damit die Bemächtigung von Welt mittels Sprache als Verstand. Lassen Sie mich es im Bild sagen: Worte sind die Fackeln, in deren Licht uns erst die Dinge erscheinen.

An dieser Nahtstelle tritt auch dasjenige hervor, was der Mensch als sein "Ich" bezeichnet: Die Fähigkeit des Verstandes, Dinge als Wirkungsträger zu identifizieren, führt per se ipsum dazu, auch sich selbst, die eigene Person als Wirkungsträger und Handlungsmittelpunkt zu erkennen und unter einem eigenen Begriff zusammenzufassen: das "Ich" als Träger und "Inhaber" der Selbstwahrnehmung einschließlich des Fühlens wie der Datenspeicherungen des Verstandes. Daher sollte denn auch die nochmals erhebliche Zunahme der Gehirnmasse des homo sapiens sowohl gegenüber den Primaten als auch gegenüber seinen eigenen Vorläufern (habilis und erectus) stammen; das Sprechen selbst (Broca- und Wernicke-Zentrum) und die eigenständigen Speicherungen von Verstand und Vernunft erfordern ihren eigenen Bereich.

Aus dieser Verbindung von Emotio und Verstand geht dasjenige hervor, was wir Fühlen nennen: die Übertragung emotionaler Bewertungen nun nicht mehr an die Eigenschaften von Dingen, sondern auf die Dinge selbst. Das sich durch den Verstand als Fiktion herausbildende "Ich" bezieht die durch die Emotio vorbewerteten Empfindungen der Sinne wie der Organe auf diese "Zentrale" und erschafft so unsere Gefühle. Dies ist der Unterschied zwischen dem Empfindungsbewußtsein von Tieren, die diesen Empfindungen direkt ausgesetzt sind, und dem Fühlen des Menschen, der seine Empfindungen in der Reflexion der Emotio immer auch durch den Verstand erfährt. Ob und welchem Beurteilungszentrum – und damit auch Werte-Zentrum! – der Mensch folgt, hängt von seiner individuellen Vernetzung dieser Vermögen Emotio, Verstand und Vernunft ab, die zum Teil geschlechtsbedingt ist, und sich teils aus der Anlage, teils aus der umweltbedingten Epigenese des Gehirns ergibt.

Tiere verfügen nicht über diese verstandesfingierte "Ich-Zentrale", und so macht es keinen Sinn, ihnen Gefühle zuzusprechen; andererseits sind sie der Selbstwahrnehmung von Grundempfindungen der Emotio direkt ausgesetzt, also neben der emotionalen Konditionierung der Sinneswahrnehmung vor allem auch den sich notwendig in diese Emotio einspeisenden Parametern der Selbstwahrnehmung: Die lebenswichtigen Signale des Gesamtorganismus, um dessentwillen alle Wahrnehmung und Informationsverarbeitung entsteht, müssen sich natürlich auch in den jeweils neu erstehenden Vermögenszentren geltend machen, und so werden diese Bedürfnisse als Grundempfindungen in das neue Zentrum "durchgeschleift". Hunger, Durst, Sexualtrieb, Schmerz und Lust aus der Herübernahme der instinktiven Notwendigkeiten, aber auch eigenständige Grundempfindungen der auf der Emotio basierenden Lebensorganisation bilden so den Bestand des Empfindungsbewußtseins bei Tieren. Denn insbesondere die auf Basis der Emotio mögliche individuelle Kommunikation und Sozialisation einschließlich der ab diesem Stadium möglich gewordenen Tradition von Verhaltensweisen führen zur Ausbildung von gegenüber dem Instinkt eigenständigen Empfindungen. Dazu zählen alle Empfindungen, die für den Bestand einer funktionierenden Herdenorganisation zu erwarten sind: eine Empfindung der Zugehörigkeit und des Ranges, von "Mut" und "Furcht" (im Hinblick auf Herdenverteidigung und männliche Rivalität), aber auch Vorformen von Scham, Freude und Verlustempfindungen. Diese sich aus der tierischen Sozialisiation ergebenden Empfindungen sind es, die häufig mit den menschlichen Gefühlen verwechselt werden, deren Basis sie sind. Diese Empfindungen bilden die Grundlage der Kooperation ebenso wie der Täuschung, verbunden mit der Fähigkeit zu Empathie und Sympathie: die Fähigkeit zur Nachempfindung und daraus folgender Mitempfindung.

Soweit ich sehen kann, stehen diese Thesen weitgehend in Übereinstimmung mit denen von Damasio, allerdings gehen sie in entscheidenden Aspekten über Damasio hinaus, da sie sich nicht nur mit dem Bewußtsein, sondern vor allem auch mit den unterschiedlichen Leistungen der verschiedenen neuronalen Vermögen befassen.

Manche Unklarheit bei Damasio rührt daher, daß er den Begriff "Gefühl" zweifach bemühen muß, da er auf den Rezeptions- und Reflexionsvorgang innerhalb der Vermögen selbst nicht konkret eingeht und so für meinen Geschmack die verschiedenen "Bewußtseinslagen" zwischen Säugern, den Menschenaffen als unseren nächsten Verwandten und uns selbst nicht klar genug scheidet.(8) Dies liegt aber auch weiter daran, weil ihm selbst der eigentliche Übergang vom Empfindungsbewußtsein zum Verstandesbewußtsein des Menschen nicht deutlich ist – er gesteht selbst zu (S. 376), daß sich diese Frage, was für Wahrnehmungen denn Gefühle seien, gegenwärtig "noch nicht ganz beantworten" lassen, und es daher nach wie vor unklar sei, wie es zum "Film-im-Gehirn" komme, also das, was nur wir Menschen im und als Bewußtsein erleben. Das stammt m.E. vor allem daher, daß bei ihm das Wesen der Sprache weit unterbelichtet ist – ihm liegt aus mir unbekannten Gründen sehr daran, das Bewußtsein auch noch des Menschen als vorsprachlich zu erweisen.

Hier liegt einer der Hauptunterschiede zu meiner eigenen Auffassung – denn alle menschlichen Gedächtnisformen, so insbesondere das "autobiografische" (= Personalgedächtnis, s.o.) Gedächtnis, bedienen sich der Sprache, sind ohne diese keinesfalls denkbar.(9)

Des weiteren sei hier auf meine schon länger im Internet stehende Grafik verwiesen, aus der sich einerseits wiederum die direkte Parallelität zwischen dem Ansatz von Damasio und mir ergibt, herauf von der vegetativen Verarbeitung des Thalamus über die Emotion zum menschlichen Geist, aber ebenso auch die Unterschiede vor allem im Übergang vom Tier zum Menschen und dem dabei statthabenden "Sprung" im Bewußtsein, der bei Damasio im Nichtachtgeben auf die Sprache allzu "verschleift" erscheint.

Zum "Film-im Gehirn" kommt es erst und nur mit der Sprache: ihr Beziehungsgerüst der Grammatik erlaubt es erst, die benannten Dinge sachlich und zeitlich aufeinander zu beziehen. Erst mit der Sprache können einzelne sinnliche Dingaspekte nicht nur horizontal-additiv konditioniert werden, sondern durch eine weitere Vertikalisierung (ein weiteres eigenes Kartierungssystem) räumliche und zeitliche Sachzusammenhänge.

Parallel zu den "Ebenen", Schichten des Selbst definiert Damasio ebenso wie ich selbst verschiedene Formen dieses "Selbst":

(S. 211) Tabelle 6.1 Arten des Selbst

AUTOBIOGRAFISCHES SELBST. Das autobiografische Selbst beruht auf dem autobiografischen Gedächtnis, das aus impliziten Erinnerungen an viele Momente individueller Erfahrung in der Vergangenheit und an die antizipierte Zukunft besteht. Die unveränderlichen Aspekte in der Biografie eines Menschen bilden die Grundlage des autobiografischen Gedächtnisses. Das autobiografische Gedächtnis wächst ständig mit der Lebenserfahrung, lässt sich aber teilweise abwandeln, um neuen Erfahrungen Rechnung zu tragen. Gruppen von Erinnerungen, welche die Identität und Personalität beschreiben, können bei Bedarf als neuronale Muster reaktiviert und als Vorstellungen explizit gemacht werden. Jede reaktivierte Erinnerung wirkt als »Zu-Erkennendes« und erzeugt ihr eigenes pulsierendes Kernbewusstsein. Das Ergebnis ist das autobiografische Selbst, dessen wir uns bewusst sind.

KERNSELBST. Das Kernselbst gehört zum nichtsprachlichen Bericht zweiter Ordnung, der zu Stande kommt, wenn ein Objekt das Proto-Selbst modifiziert. Das Kernselbst kann durch jedes beliebige Objekt ausgelöst werden. Der Mechanismus, der für die Hervorbringung des Kernselbst zuständig ist, verändert sich im Laufe eines Lebens nur geringfügig. Das Kernselbst ist uns bewusst.

BEWUSSTSEIN


PROTO-SELBST. Das Proto-Selbst ist eine Ansammlung von wechselseitig verbundenen und zeitweise zusammenhängenden neuronalen Mustern, die den Zustand des Organismus von Augenblick zu Augenblick auf verschiedenen Ebenen des Gehirns repräsentieren. Wir sind uns des Proto-Selbst nicht bewusst.

(S. 212)Tabelle 6.2 Unterschiede zwischen Kernselbst und autobiografischem Selbst

KERNSELBST

AUTOBIOGRAFISCHES SELBST

Der flüchtige Protagonist des Bewusstseins wird für jedes Objekt erzeugt, das den Mechanismus des Kernbewusstseins auslöst. Da ständig auslösende Objekte vorhanden sind, wird es fortlaufend erzeugt und erscheint daher dauerhaft in der Zeit.

Beruht auf permanenten, aber dispositionalen Aufzeichnungen von Kernselbst-Erfahrungen. Diese Aufzeichnungen können als neuronale Muster aktiviert und in explizite Vorstellungen verwandelt werden. Die Aufzeichnungen können durch weitere Erfahrungen partiell abgeändert werden.

Der Mechanismus des Kernselbst ist auf das Vorhandensein des Proto-Selbst angewiesen. Biologisch gesehen, ist das Wesen des Kernselbst die Repräsentation in einer Karte zweiter Ordnung vom Proto-Selbst im Zustand der Veränderung.

Das autobiografische Selbst ist auf das Vorhandensein eines Kernselbst angewiesen, damit es seine schrittweise Entwicklung beginnen kann.

Außerdem ist das autobiografische Selbst auf den Mechanismus des Kernbewusstseins angewiesen, damit es durch die Aktivität seiner Erinnerungen Kernbewusstsein erzeugen kann.

Die Notwendigkeit zweier vertikaler Interpretationsebenen (in meinen Worten: vertikale Schichtung) begründet Damasio so:

(S. 214/215) "Die Notwendigkeit für ein neuronales Muster zweiter Ordnung

Die Geschichte der Veränderungen, die durch die Interaktion des Organismus mit einem Objekt im ursprünglichen Proto-Selbst hervorgerufen werden, benötigt einen eigenen Prozess und eine eigene neuronale Basis. Einfach gesagt, abgesehen von den vielen neuronalen Strukturen, in denen die Veränderungen des verursachenden Objekts und des Proto-Selbst separat repräsentiert werden, gibt es mindestens eine weitere Struktur, die sowohl das Proto-Selbst als auch das Objekt in ihrer zeitlich begrenzten Beziehung re-repräsentiert und damit das repräsentieren kann, was dem Organismus tatsächlich widerfährt: Proto-Selbst im Ausgangs-Moment; Objekt gelangt in sensorische Repräsentation; Verwandlung des Ausgangs-Proto-Selbst in durch Objekt modifiziertes Proto-Selbst. Ich nehme jedoch an, dass es mehrere Strukturen im menschlichen Gehirn gibt, die in der Lage sind, ein neuronales Muster zweiter Ordnung zur Re-Repräsentation von Geschehnissen erster Ordnung zu erzeugen. Das neuronale Muster, das dem nichtsprachlichen Vorstellungsbericht (in Vorstellungen vorliegenden Bericht) von der Beziehung zwischen Organismus und Objekt zu Grunde liegt, verdankt seine Entstehung wahrscheinlich komplizierten Signalverbindungen zwischen mehreren Strukturen »zweiter Ordnung«. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass eine Gehirnregion das entscheidende neuronale Muster zweiter Ordnung enthält.

Die wichtigsten Merkmale der Strukturen zweiter Ordnung, deren Interaktion die Karte zweiter Ordnung erzeugt, sind folgende: Eine Struktur zweiter Ordnung muss in der Lage sein, (1) Signale über Axonenbahnen von Gebieten zu empfangen, Signale von Orten, die an der Repräsentation des Proto-Selbst beteiligt sind, und von Orten, die ein Objekt repräsentieren können; (2) ein neuronales Muster zu erzeugen, das in zeitlich geordneter Weise die Ereignisse »beschreibt«, die in den Karten erster Ordnung stattfinden; (3) die Vorstellung, die sich aus dem neuronalen Muster ergibt, direkt oder indirekt in den allgemeinen Strom von Vorstellungen einzuführen, den wir Denken nennen; und (4) die Strukturen, die das Objekt verarbeiten, direkt oder indirekt mit Rückmeldungen zu versorgen, so dass die Objektvorstellung verstärkt werden kann."

Der Aufbau des Selbst zeigt sich gemäß meiner Auffassung, wenn auch in anderer Begrifflichkeit, so doch in seiner inneren Anschauung ganz parallel zu Damasio (aus: Geist und Bewusstsein I(10)):

Das Ich-Gefühl wird der übergreifende Parameter über alle im Gesamtsteuerzentrum (die in jedem Menschen in verschiedener Weise geschichteten Zentren Instinkt, Emotio und Ratio als Verstand und Vernunft) anlangenden Einzelinformationen sein. Das bedeutet, daß alle Informationszentren einschließlich der mehr oder weniger bewußten Innenwahrnehmungen (vegetativer, hormoneller und Nahrungs-Status) daran beteiligt sind und zur Beurteilung mit herangezogen werden:

a) vegetative und instinktive Innensignale, welche via Emotio für den Verstand geöffnet sind, also von den Sinneswahrnehmungen unabhängige, sich über das Gefühl einspiegelnde, in Wirklichkeit aber aus dem Programmzentrum und darunter stammende Signale wie Hunger, Durst, Schmerz, Geschlechtstrieb, körperliche Befindlichkeit.

b) sensorische äußere Informationen: alles, was die Sinne über den "direkten Einbettungszustand" des eigenen Gesamtorganismus in seine jeweilige äußerliche Umwelt mitteilen.(11)

c) bei den meisten Menschen das weitaus wichtigste an der Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung des Zustandes des eigenen Ich: Gefühle in Form "intellektueller Grenzwerte" – eine für apriorisch gehaltene "Wahrheit" wird als Ende der intellektuellen Einsicht durch Bewertung mit der Emotio gesetzt. Denn wie der Süchtige an der Nadel so hängt die überwiegende Mehrzahl der Menschen unlösbar an ihren emotionalen Einschätzungen und ist daher abhängig von der Befriedigung dieses Gefühlshaushalts (s. etwa den Begriffszwitter des "Selbstwertgefühls" und den daraus entspringenden "Minderwertigkeitskomplex"; oder das Phänomen der "Langeweile", die aus der Abhängigkeit des erstkategoriellen Typs von äußeren Reizen im Falle von deren Abwesenheit entspringt).

d) die rationale Bewertung des Ich durch das Ich schätzt die Stellung des Ich in seiner Umwelt nach rational-utilitaristischen oder ethischen Maßstäben ein. Sie ist der Versuch, das eigene Ich objektiv mit den anderen Ich's zu vergleichen, entweder unter dem (letztlich emotionalen) Blickwinkel Eigenbedeutung oder unter einem ideellen Wert.

Damasio (S. 36):

"Kurzum der Organismus ist im dynamischen Beziehungsgeflecht des Bewusstseins die gesamte Einheit unseres lebenden Seins, sozusagen unser Körper. Und doch stellt sich heraus, dass jener Teil des Organismus, den wir das Gehirn nennen, eine Art Modell des Ganzen enthält. Das ist ein seltsamer, häufig übersehener und doch höchst bemerkenswerter Tatbestand, wahrscheinlich der wichtigste Hinweis auf die mutmaßlichen Grundlagen des Bewusstseins.

Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass der Organismus als Repräsentation in seinem eigenen Gehirn wahrscheinlich ein biologischer Vorläufer dessen ist, was schließlich dieser schwer fassbare Selbst-Sinn wurde. Die frühesten Ursprünge des Selbst, einschließlich des höheren Selbst, das Identität und Personalität umfasst, sind in der Gesamtheit jener Hirnmechanismen zu finden, die fortwährend und unbewusst dafür sorgen, dass sich die Körperzustände in jenem schmalen Bereich relativer Stabilität bewegen, der zum Überleben erforderlich ist. Ständig repräsentieren diese Mechanismen - unbewusst – den Zustand des lebendigen Körpers in seinen vielen Dimensionen. Diesen Aktivitätszustand innerhalb der Gesamtheit der betreffenden Mechanismen bezeichne ich als Proto-Selbst, den unbewussten Vorläufer jener Stufen des Selbst, die in unserem Geist als bewusste Protagonisten des Bewusstseins in Erscheinung treten: Kernselbst und autobiografisches Selbst."

Damasio S. 241:

Tabelle 7.1. Formen des Selbst

AUTOBIOGRAFISCHES SELBST

Ý               Ý

AUTOBIOGRAFISCHES GEDÄCHTNIS
[eine organisierte Aufzeichnung früherer Erfahrung eines individuellen Organismus]

 

Ý              Ý

KERNSELBST

Ý

[eine unbewusste Ansammlung von Repräsentationen der vielfältigen Dimensionen des aktuellen Organismuszustands]

Kernbewusstsein


Ý

PROTO-SELBST


[eine vorübergehende, aber bewusste Bezugnahme auf den indviduellen Organismus, in dem Ereignisse stattfinden]

 

Der Pfeil zwischen dem nicht bewussten Proto-Selbst und dem bewussten Kernselbst bezeichnet die Verwandlung, die die Mechanismen des Kernbewusstseins hervorrufen. Der Pfeil, der zum autobiografischen Gedächtnis zeigt, verweist auf die Ablage wiederholter Kernselbst-Erfahrungen im Gedächtnis. Die beiden Pfeile, die zum autobiografischen Selbst führen, bezeichnen seine doppelte Abhängigkeit sowohl von den kontinuierlichen Pulsen des Kernbewusstseins als auch von der fortwährenden Reaktivierung autobiografischer Erinnerungen.

Derselbe Aufbau nimmt sich dann vom Selbst- bzw. Ich-Bewußtsein her so aus(12):

Als "Ich" ist sich der Mensch immer schon gegeben; demgegenüber meint (jedenfalls nach hiesigem Verständnis) das "Selbst" jenen eingeschränkten Bereich des "Ich", das "Ich" als "Selbst" ist, weil es sich in diesem Bereich des "Ich" selbst als "Selbst" gewählt hat. Das "Ich" setzt selbstverständlich immer den Verstand als Minimum voraus, weil nur als und im Verstand jene Vorstellung geformt (fingiert) und festgehalten werden kann, welche "Ich" ist – mithin sagt Heidegger zu Recht: "Ich" ist immer schon "Ich denke" – ohne daß er uns allerdings sagt, was dies Denken sei. Und: die allerersten Formen des "Ich" sind zwar nur vorhanden, insoweit sie gedacht werden, und so sind diese frühen Formen das Bewußtsein selbst als durchgehaltene Vorstellung – aber dieses frühe "Denken" des "Ich" ist noch kein eigentliches Denken, sondern es besteht in der Selbstwahrnehmung der Empfindungen, ist zunächst beschränkt auf das "Denken dieser Empfindungen" – und baut daraus die Welt der Gefühle. Das "Ich" denkt hier nichts von oder über sich, sondern ist ausschließlich das "Ich" als ein Sich-Selbst-Verstehen in der Empfindung. ...

Das "Ich" ist immer das Insgesamt des einzelnen Daseins, soweit es als Bewußtsein sich wahrnimmt ("denkt"). "Selbst" ist jener Teilbereich des "Ich", in welchem Einklang zwischen individueller Leitungssphäre und jenem Teilbereich besteht – anders ausgedrückt: worin das "eigentliche Ich" (Eigentlichkeit gegenüber dem "apriorischen", immer gleichbleibenden "Gesamt-Ich") sein "Selbst" haben will; identisch damit, worin es seine existentielle Lebendigkeit findet. Der Unterschied zum "Selbst" des in der Uneigentlichkeit des "Man" befangenen Daseins besteht darin, daß, wodurch auch immer, eine bewußte Übernahme des Umstandes in der Persönlichkeit vorhanden ist, daß es in diesem Bereich sein lebendiges Zentrum haben will. Wohingegen sich das uneigentliche Selbst an emotionale, traditionskonditionierte Werte verliert, hierin nicht selbst lebendig wählt, sondern von seinen ihm selbst dunklen Fremdkonditionierungen "gewählt wird". Wenn uneigentliches Dasein dennoch glaubt, daß es selbst als Selbst handelt, denkt und fühlt, so deshalb, weil es die auch hier wahrzunehmende lebendige Innenbewegung in Form der Emotio für den existentiellen Ausweis des eigenen "Selbst" nimmt, wo in Wirklichkeit jene Emotio solches uneigentliche Dasein diesem selbst unbewußt mittels Traditionskonditionierungen der Emotio als Fremdes/Dunkles, als Nicht-Selbst steuert.

Dieses "Ich", das immer schon ein "Ich denke" ist, muß noch einmal daraufhin angesehen werden,

a) wie sich dieses "Ich" in den verschiedenen Kategorien verhält.
b) ob jenes "Denken" denn durch die Kategorien das gleiche sei?

zu a) Die Kategorialität des Ich ließe sich folgendermaßen einteilen:

1. Das oben genannte "Ich" als Gesamt-Ich, welches Körper, Emotio und alle Ratio-Kategorien umfaßt – ist das "Ich", wie es als Dasein in Erscheinung tritt.

2. Ein ausgezeichneter Teilbereich dieses Gesamt-Ich, der ebenfalls mit Ich bezeichnet werden muß, weil hier das "eigentliche Ich" "sitzt", denkt, beobachtet (etwa auch das Gesamt-Ich), welches sich auch als Ich-Ich bezeichnen läßt: eine verdoppelte Fiktion gegenüber dem "Ich" zu 1. durch die Vernunft, welche sich dadurch zunächst selbst "an die Spitze" setzt, um in der Reflexion der Vernunftkategorie das Ich-Ich zu entleeren, so daß es zuletzt als vollendete Doppelreflexion übrig bleibt.

3. Dem steht gegenüber das "Selbst", welches jenen Bestand der Persönlichkeit ausmacht, welcher jene bewußt und ausdrücklich als "persona" (das "Durchklingen") sein will, das eigentliche "Ich-Selbst", das sie als Ich der Doppelreflexion sein will. Das "Selbst" liegt so gesehen "außerhalb" des "Ich" als "Ich-Ich", steht ihm gegenüber.

zu b) Diese Teilung des "Ich" im "Ich denke" legt nahe, daß auch dieses "Denken" nicht das nämliche bleibt, je nachdem, aus welcher Kategorie des Daseins dieses "Ich denke" gesagt wird. Denn die Art und Weise der Selbstwahrnehmung des "Ich" im "Ich denke mich als 'Ich'" wird, je nachdem, welches "Ich" hierin sich anspricht und ausspricht, von unterschiedlichen Bewertungskriterien ausgehen (Emotio, Verstand, Vernunft); auch wird das "Denken" nicht dasselbe sein, insofern es sich beim Vorschreiten durch die Kategorien funktional und in der Beweglichkeit/Eigenaktivität verändert. Die Selbstwahrnehmung des "Ich denke" in der Verstandeskategorie ist kein eigentliches Denken, sondern verstandesmäßige Interpretation des Empfindens: Fühlen. Trotzdem muß natürlich auch dieses "Ich" ein denkendes Ich genannt werden, als es im Fühlen um sein Ich weiß. "Ich" und Gesamt-Ich sind hier identisch; denn dieses "Ich" ist sich selbst, seinen Sinnen und Empfindungen ausgesetzt, es setzt sich aus diesen beiden zusammen (eigentlich als Nicht-Ich), es fingiert sich als Zentrum für Sinne und Empfindungen.

Eigentliches, selbstaktives Denken bildet die Vernunftkategorie aus und reflektiert sich selbst; dadurch verwandelt sich das Bewußtsein des "Ich" der Verstandeskategorie zum Selbstbewußtsein der Vernunft, welche ihr "Ich denke" in anderer Weise sagt und denkt als der Verstand; das Wissen um das eigene "Ich" ist nicht mehr nur reagierende Begriffserhellung auf Anstoß der Sinne und Empfindungen hin, vielmehr denkt sich dieses "Ich" als aktives und verantwortliches Zentrum, dieses "Ich" ist der bewußte geistige Mittelpunkt der Gesamtperson, welcher sich nicht nur als Registrator, sondern als Kontrolleur aller Vorgänge sieht, welche das "Ich" angehen. Denn das Denken hat in der Vernunftkategorie eine andere Wirksamkeit gewonnen als in der Verstandeskategorie, und es vermag auf diese erstere Kategorie, auf welcher es onto- wie phylogenetisch basiert, aktiv einzuwirken.

Hier kommt dann, modern gesprochen, die Veto-Theorie ins Spiel, indem Vernunftkriterien nach derartiger individueller Durchreflektierung die Wert-Vor-Urteile und daraus folgende Handlungsauslösungen blockieren können.

Diesen Sachverhalt sieht Damasio durchaus auch, wenn auch auf seine Weise und in seiner Begrifflichkeit; setzt er doch aus diesem Grunde das "Gewissen" an die Spitze seiner "Vermögens-Skala"(13). Hierzu sei daher eine weitere Grafik aus seinem Buche angeführt (S. 371):

Neben den Übereinstimmungen im schichtenweisen Aufbau (= "Karten verschiedener Ordnung") wird hier gleichzeitig der Unterschied beider Auffassungen deutlich: Damasio setzt das autobiografische Gedächtnis vor der Sprache an, wohingegen ich – hier ausnahmsweise in Übereinstimmung mit Heidegger – der Meinung bin, dass jedes "Ich" immer schon ein "Ich denke" ist und damit Sprache bereits voraussetzt. Denn jedes autobiographische Ich setzt Räumlichkeit und Zeitlichkeit voraus, weil sonst das Fest-Stellen von Sachzusammenhängen und deren Abspeicherung gar nicht möglich wäre.(14) Dies aber ist allein im Medium der Sprache möglich, welche die Dinge aus dem Meer der Sinneswahrnehmungen und -empfindungen erst auftauchen lässt und deren Aufeinanderbeziehen erst erlaubt. Es mache doch jeder den Selbstversuch mit sich, ob er in der Lage ist, sich Dinge oder Umstände vorzustellen, die er nicht sprachlich zu bezeichnen in der Lage ist. Wir finden in unserem gesamten uns mit Bewußtsein zugänglichen Gedächtnis nichts, es sei denn, es läßt sich sprachlich auf den Begriff bringen – einschließlich unserer Gefühle, die ja gerade daraus erstehen, daß wir unsere Empfindungen/Emotionen mit dem Verstand reflektieren. Dies ist auch der Grund, warum es uns unmöglich ist, uns in die Bewußtseinslage etwa eines Hundes zu versetzen: Dieser Weg zurück ist uns versperrt, weil der "Begriff" immer schon da ist, bevor wir das "reine Empfindungsbewußtsein" zu Gesicht bekommen.

Meines Erachtens steht auch noch das "Objekt" in der obigen Grafik von Damasio an der falschen Stelle – es gehörte wohl ganz zu unterst: Es sind die Objekte selbst und unsere Verwiesenheit (wie alles Lebendigen) auf äußere Objekte(15), welche die Fähigkeit zur Bildung von Vorstellungen "hervor-ruft", zu ihrer Rezeption in der evolutiven Umbildung der Organismen führt. Bereits Pflanzen sind "wach", richten ihre "Aufmerksamkeit" auf die Wanderung der Sonne, aber oft auch bereits auf die Interaktion mit dem Umgebungsgeschehen in der Artenkonkurrenz: Es sind die Objekte, die rezipierbare Wirkungen ausüben, die als gespeicherte Information für das rezipierende Lebewesen einen Vorteil darstellt – und dies noch mehr, wenn solche Rezeptionen durch selbstaktive Reflexionen vorweggenommen werden können. Die DNA selbst, aber auch die genetische Instinktausstattung der Arten sind solche kodierten Rezeptionen von Objekten durch Lebewesen: sich schichtende Information, bis hin und einschließlich unseres rationalen wie autobiografischen Gedächtnisses.

Damasio geht nun hier von einem "Zwei-Karten-System" aus, wodurch aus dem Proto-Selbst und aus der Wahrnehmung von dessen Änderungen durch Objekte das Kern-Selbst sowie das Kern-Bewußtsein hervorgehen. Damit trägt er dem Umstand Rechnung, daß hier notwendigerweise ein Reflexions-Prozeß stattfinden muß: Die Empfindung/Emotion ist als Basis jedes Bewußtseins bereits eine vertikale Zwischen-Schaltung/Hemmung der vorher automatisierten rein genetischen vegetativen und Instinktabläufe. Dazu müssen bestimmte Sinneseindrücke aus dem Strom der Wahrnehmungen "abstrahiert" (Rezeption) werden und selbstwertend, in der Selbstwahrnehmung der durch die Wahrnehmung ausgelösten Empfindung, mit entsprechender Bewertung versehen abgespeichert werden. Das bedeutet, daß ein solches Lebewesen einen "Mechanismus" benötigt, die zunächst durch Vegetativum oder Instinkt ausgelöste "Schüttung" von Endorphinen "abzugreifen" und diesen "Abgriff" mit den aus den Sinnen gewonnenen Vorstellungen zu verknüpfen. Dies wird von mir als Emotio-Potentiometer bezeichnet – leider bleibt speziell hier, in Bezug auf diese Potentiometer-Eigenschaft, Damasio alles schuldig: Er geht auf die interne Selbstwahrnehmung von Empfindungen als Gefühlen, insoweit sie sich insbesondere durch ein Ansteigen und Abflauen bemerkbar machen ("O Schmerz, laß nach!"), mit keinem Wort ein, und so bekommt er auch die Notwendigkeit eines solchen "Potentiometers" nicht in den Blick.

M. E. ist es aber mit einem "Zwei-Karten-System" nicht getan – denn auch noch das von Damasio konstatierte "erweiterte Bewußtsein" benutzt ein völlig eigenes "System". Es rächt sich, daß Damasio das Wesen der Sprache an die falsche Stelle setzt: Unser rationales wie autobiografisches Gedächtnis setzt nicht nur die Sprache, sondern auch die immense Größe unseres Neokortex gegenüber allen Tierarten voraus, wiederum in einem vertikalen Rezipieren und Reflektieren des Empfindungssystems. Es handelt sich m.E. eben nicht "nur" um ein "erweitertes" Bewußtsein(16), sondern um eine ganz andere Bewußtseinsart. Nicht umsonst können zwar wir die Tiere in gewisser Weise "verstehen", sprich ihr in der Kommunikation etwa mit uns aufscheinendes Selbstempfinden nachvollziehen (wenn wir sie auch meist in der Selbstverwechslung mit unseren Gefühlen anthropomorph fehlinterpretieren – was ja ein weiterer Beweis für diese Vertikalität der Ratio gegenüber der Emotio ist ...) – niemals aber sie uns! Es handelt sich also wohl nicht nur um die "bloße Erweiterung" eines an sich sonst gleichbleibenden "Zwei-Karten-Systems", sondern vielmehr um eine ebensolche weitere vertikale Schichtung, um ein "drittes Kartensystem", wie es das "Kern-Selbst" gegenüber dem "Proto-Selbst" darstellt: um die rationale "Ich-Sphäre" des Menschen.

Weiter problematisch – und wohl erhellend – ist die Tatsache, daß Damasio (s. Anm. 9) das "Gewissen" an die oberste Stelle seiner "Vermögens-Skala" stellt, wobei er dabei im Grunde relativ "metaphysisch", etwa mit den alten Griechen argumentiert, ohne doch eine eigentlich evolutionäre Erklärung für dieses Phänomen zu liefern.(17)

All diese Unterschiede im Speziellen ändern jedoch meiner Meinung nach nichts an einer prinzipiellen Übereinstimmung der beiden "Systeme" – im Gegenteil: die ausgezeichnete und lebendige Darstellung Damasios mit ihren vielen Fallbeispielen gibt viel zu lernen in der Verbindung von Gehirnstrukturen mit den einzelnen Bewußtseinsschichten/Vermögensleistungen sowie in der dynamischen Sehweise des Bewußtseins als eines ständigen Aktualisierens. Insofern habe ich hier unter "Geist und Bewußtsein II" das Bewußtsein vor allem als einen Zustand bezeichnet – das nichts "an sich selbst" ist, und das man daher auch nicht irgendwie finden kann. Vielmehr handelt es sich um einen aktiven Vernetzungszustand von neuronalen Systemen, wobei nach übereinstimmender Auffassung das rationale Bewußtsein des Menschen ("erweitertes Bewußtsein") vom Empfindungsbewußtsein ("Kernbewußtsein") basiert sein muß.

Hier ist denn die Stelle, nochmals des Falles "Phineas Gage" zu gedenken, den Damasio in "Descarte’s Irrtum" beschreibt: Dieser war nach einer schweren Gehirnverletzung (wobei wohl insbesondere die Amygdala betroffen war) nicht mehr in der Lage, seine Umwelt gefühlsmäßig einzuschätzen trotz völliger Intaktheit aller rationalen Systeme. Dieses Fehlen der emotionalen Intuition ließ ihn schließlich im Leben scheitern.

Wie ist dieser verzwickte Fall zu interpretieren, da Gage trotz dieser Störung der Gefühlswahrnehmung doch offenbar völlig bei Bewußtsein war?

Nun, offenbar war nicht das Kernbewußtsein, sondern "nur" das erweiterte Bewußtsein gestört, um es in der Damasioschen Nomenklatur auszudrücken; die emotionalen Prozesse liefen zwar ab – sonst wäre das Kernbewußtsein betroffen und kein Bewußtsein möglich gewesen. Betroffen war offensichtlich die Reflexion dieser emotionalen Abläufe hinauf in die Ebene des rationalen/erweiterten Bewußtseins, so daß die unbewußt ablaufende emotionale Verarbeitung im rationalen System nicht mehr wahrgenommen und berücksichtigt werden konnte. So spricht gerade auch dieser Fall dafür, daß es sich beim "erweiterten Bewußtsein" des Menschen in Wirklichkeit um eine weitere Vertikalisierung, um ein "drittes Kartensystem" handelt, das unter anderem mit den Daten des emotionalen Systems arbeitet; zugleich zeigt sich daran, daß letzteres als bewußtes Gewahrwerden der Empfindungen als Gefühle für eine korrekte Einbindung des Gesamtorganismus unverzichtbar ist.


Anmerkungen:

(1) Antonio R. Damasio: Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins. Aus dem Englischen von Hainer Kober, Econ Ullstein List Verlag, München 2000 (engl. Originalausgabe 1999: The Feeling of What Happens. Body and Emotion in the Making of Consiousness)

(2) Helmut Walther, Die Wiederentdeckung der Sinnlichkeit, in: Aufklärung und Kritik, Sonderheft 3 zu Ludwig Feuerbach, S. 87 f. und Anm. 6 und 7, S. 97; im Internet veröffentlicht unter www.gkpn.de.

(3) Karl Löwith, Von Hegel zu Nietzsche, W. Kohlhammer Verlag Stuttgart, [1941] 4. Aufl. 1958 S. 96

(4) s. im Internet unter www.hwalther.de auf der Artikel-Seite: Epigenese – Verstand und Vernunft / Versuch einer Kategorisierung des Geistes

(5) Das Gefühl für das Schöne. Ansätze zu einer evolutionären Ästhetik. Im Internet aaO. Diese Thesen wurden vor der Gesellschaft für kritische Philosophie (GKP) bereits vor einigen Jahren vorgetragen, jedoch leider für nicht abdruckwürdig in deren Zeitschrift A&K befunden ...

(6) Francis Crick, Was die Seele wirklich ist – Die naturwissenschaftliche Erforschung des Bewußtseins, Rowohlt TB Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Juni 1997 (Originalausgabe 1994)

(7) Dazu Damasio (S. 184 f.): "Auf vielfältige Weise ist das Gehirn chemischen Stoffen ausgesetzt, die in der Blutbahn zirkulieren. Vor dem Eindringen bestimmter Moleküle ist es durch die sogenannte Blut-Hirn-Schranke geschützt. Dieser biologische Filter umgibt praktisch alle Blutgefäße, die Nährstoffe zum Hirngewebe transportieren, und ist sehr wählerisch in Bezug auf die Stoffe, die vom Blut ins Hirngewebe gelangen dürfen. Einige wenige Hirnregionen liegen jedoch außerhalb der Blut-Hirn-Schranke und sind ohne Schwierigkeit für große Moleküle erreichbar, die in anderen Gebieten des Gehirns daran gehindert werden, das neuronale Gewebe direkt zu beeinflussen. Moleküle, die die Bluthirnschranke durchqueren, wirken direkt auf das Gehirn ein, zum Beispiel an Strukturen wie dem Hypothalamus. Große Moleküle, die die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden können, wirken an besonderen Stellen auf das Gehirn ein, wo die Schranke fehlt, an den sogenannten zirkumventrikulären Organen. ... Die chemisch erregten Neuronen in diesen Arealen übermitteln ihre Nachrichten an andere Neuronen. Die Wirkung von Substanzen wie dem Oxytocin, das entscheidend ist für viele Verhaltensweisen, von der Sexualität über Bindungsverhalten bis zur Geburt, hängt von dieser Übertragungsart ab. Das Eingetauchtsein des Gehirns in das chemischen Milieu ist also von großer Bedeutung.
Das System des inneren Milieus und der Viszera verwendet Nervenbahnen, um die Signale zu übertragen, die wir schließlich als Schmerz wahrnehmen und die praktisch überall entstehen können, in den Eingeweiden des Bauchraums, in einem Gelenk oder in einem Muskel. Dieses System überträgt auch Nervensignale, die mit Aspekten des inneren Milieus zu tun haben, so dass das chemische Profil des Organismus nicht nur über die Blutbahn kartiert wird, sondern auch über die Nervenbahnen – beispielsweise werden die pH-Werte und die Konzentration von Sauerstoff und Kohlendioxid doppelt kartiert.
Schließlich signalisiert dieses System noch den Zustand der glatten Muskeln, die unter anderem in den Viszera vorkommen und autonomer Kontrolle unterliegen. Die Bezeichnung autonom bedeutet, dass ein bestimmter Prozess praktisch vollständig von Mechanismen gesteuert wird, die nicht unserem Willen unterworfen sind und im Hirnstamm, im Hypothalamus und in limbischen Kernen liegen statt in der Großhirnrinde. Glatte Muskeln gibt es überall, beispielsweise in jedem Blutgefäß des Körpers. Diese glatten Muskeln können sich zusammenziehen oder ausdehnen, um den Blutkreislauf und seine begleitenden Funktionen zu regulieren. Die Zusammenziehung und Ausdehnung der glatten Muskulatur macht sich unter anderem dadurch bemerkbar, dass sich unser systemischer Blutdruck senkt oder erhöht und wir erbleichen oder erröten."

(8) Obwohl Damasio ausdrücklich von einer evolutionären Perspektive aus argumentiert, geht er jedenfalls meiner Ansicht nach zu wenig auf die reale Entwicklung der verschiedenen Systeme und ihre jeweilige ja nach wie vor vorhandene Ausprägungen in der Natur ein.

(9) Ein weiterer starker Beleg für meine Auffassung der Bedeutung der Sprache für das menschliche Bewußtsein ist die Tatsache, daß sich Kleinkinder beim Spracherwerb zunächst noch nicht als "Ich" haben, sondern von sich in der dritten Person, meist unter dem eigenen Namen sprechen. Man könnte sagen: ihr "Selbst" agiert in dieser Phase noch aus dem "Kernselbst" heraus. So zeigen Kleinkinder zunächst auch "nur" ein Verhalten, das sich durchaus mit dem bereits im Tierreich vorhandenen "Kernbewußtsein" parallelisieren läßt. Erst nach der Rezeption eines dafür genügenden Sprach- und Grammatikgerüsts können sie sich als "Ich" ansprechen, also nach der vertikalen "Einwohnung" ("e.v.-migratio") in das zunächst rezipierte rationale Bewußtseinssystem. Und erst ab diesem Zeitpunkt ist der Aufbau eines biografischen Gedächtnisses möglich.

(10) s. im Internet unter www.hwalther.de auf der Artikel-Seite: Philosophie und Naturwissenschaft – Geist und Bewusstsein I

(11) Die hier unter a) und b) genannten Funktionsbestände (Vegetativum und genetische Instinkte) bilden das, was Damasio als "Proto-Selbst" bezeichnet (S. 187):
"Nach meiner Auffassung hat der Selbst-Sinn einen vorbewussten biologischen Vorläufer, das Proto-Selbst. Diese frühesten und einfachsten Manifestationen des Selbst treten auf, wenn die Mechanismen, die das Kernbewusstsein hervorbringen, auf diesen nichtbewussten Vorläufer einwirken.
Das Proto-Selbst besteht aus einer zusammenhängenden Sammlung von neuronalen Mustern, die den physischen Zustand des Organismus in seinen vielen Dimensionen fortlaufend abbilden. Diese ständig vorhandene Sammlung neuronaler Muster befindet sich nicht an einem Ort des Gehirns, sondern an vielen Stellen, auf vielen Ebenen, vom Hirnstamm bis zur Großhirnrinde, in Strukturen, die durch Nervenbahnen in wechselseitiger Verbindung stehen. Diese Strukturen haben wesentlichen Anteil daran, den Zustand des Organismus zu regulieren."

(12) Aus: H. Walther, Heidegger und Nietzsche; im Internet unter www.hwalther.de

(13) Damasio S. 278: "Unter diesen bemerkenswerten Fähigkeiten, die das erweiterte Bewusstsein ermöglicht, verdienen zwei besondere Beachtung: Erstens die Fähigkeit, sich über das Diktat von Vor- und Nachteilen aus Sicht der Überlebens-Dispositionen zu erheben, und zweitens die wichtige Entdeckung von Widersprüchen, die verantwortlich ist für die Suche nach Wahrheit und den Wunsch, Normen und Ideale für das Verhalten und die Analyse von Fakten zu entwickeln. Diese beiden Fähigkeiten sind nicht nur meine Lieblingskandidaten für die höchsten Stufen speziell menschlicher Leistungen, sondern sie sind auch die Voraussetzung für die wahrhaft menschliche Funktion, die sich so wunderbar durch ein einziges Wort wiedergeben lässt: Gewissen. Das Bewusstsein zählt für mich nicht zur höchsten Stufe der menschlichen Eigenschaften – weder das Kern- noch das erweiterte Bewusstsein. Das Bewusstsein ist notwendig, aber nicht hinreichend, um auf die gegenwärtig höchste Stufe zu gelangen.
Die Verkettung der Vorbedingungen ist höchst kurios: die nicht bewussten neuronalen Signale eines individuellen Organismus erzeugen das Proto-Selbst, das die Voraussetzung für Kernselbst und Kernbewusstsein bildet, die wiederum ein autobiografisches Selbst ermöglichen, auf dem das erweiterte Bewusstsein aufbaut. Am Ende dieser Kette erwächst aus dem erweiterten Bewusstsein das Gewissen."

(14) und Tieren ja auch nicht möglich ist, von den Primaten als unserer direkten Vorstufe einmal abgesehen: sie können sich im Umgang mit Menschen eine Potenz ihres Gehirns zugänglich machen, zu der sie allein nicht fähig sind. Nur dies zeigen all jene Versuche mit Schimpansen und Gorillas, die via Zeichensprache bzw. das Konditionieren von Bild-Tasten mit dem Menschen kommunizieren.

(15) Diese "Verwiesenheit" ist, wie Damasio richtig erläutert, unabdingbare Notwendigkeit alles Lebendigen, da der "Leib" immer um die Aufrechterhaltung einer wiederum genetisch vorgegebenen Homöostase "besorgt" ist.

(16) Damasio S. 237: "Das erweiterte Bewusstsein ist alles, was das Kernbewusstsein auch ist, nur größer und besser und fähig, mit der Evolution und mit der Lebenserfahrung jedes Individuums zu wachsen. Wenn das Kernbewusstsein Ihnen einen kurzen Augenblick lang die Erkenntnis schenkt, dass Sie es sind, der einen Vogel im Flug erblickt oder einen Schmerz empfindet, so stellt das erweiterte Bewusstsein diese gleichen Erfahrungen in einen größeren zeitlichen Zusammenhang. Das erweiterte Bewusstsein ist im gleichen Kern-»Sie« verankert, aber dieses »Sie« ist jetzt mit der lebendigen Vergangenheit und der antizipierten Zukunft verknüpft, die ein Teil Ihrer autobiografischen Aufzeichnungen sind."

(17) Aus meinem Text: "Was ist Metaphysik?": "Ein bedeutsamer Beleg für diese kategorielle Auffassung und Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft ist das Erscheinen des Gewissens, welcher Begriff zuerst bei Demokrit als syneídesis (wörtlich: Mitwissen) begegnet und vorher völlig unbekannt war, weil so etwas wie ein Gewissen vor der Rezeption der Vernunft noch gar nicht existieren konnte! Denn dies "Mitwissen" als Gewissen bezeichnet das Vorhandensein von zwei verschiedenen "Stimmen", die hinsichtlich einer bestimmten Sachlage zu gegensätzlichen Urteilen kommen: es ist die Vernunft in ihrer Wesensschau, die sich als neueres und höheres Vermögen meldet, und damit die Wünsche der Emotio nach Lust bzw. des Verstandes nach Macht und Nutzen überlagert und sie ihren eigenen Wertvorstellungen, also dem "Schönen, Wahren und Guten", unterwirft. Mit den berühmten "zwei Herzen in einer Brust" ist nichts anderes gemeint als diese Selbstwahrnehmung von zwei verschiedenen Wertebenen, deren eine ihre Werte aus der Konditionierung von Emotio und Verstand bezieht, wohingegen die andere auf der Aufnahme der Tradition der Vernunft beruht." s. www.hwalther.de

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