Manfred Neuhaus, Tatsachen und Mutmaßungen über Ernst Ortlepp
Books on Demand GmbH, Norderstedt 2005, ISBN 3-8334-2303-X, 239 S., 16,50
Aufklärung & Kritik 1/2005, S. 256 f.
Rezension Helmut Walther
 


Ein Poet wird zur Strecke gebracht – durch den Konkurrenten, von Staats wegen, und zuletzt kommt er gar auf merkwürdige Weise ums Leben. So ist es kein Wunder, daß der für Freiheit und Atheismus eintretende Dichter Ernst Ortlepp bis Ende des vorigen Jahrhunderts gründlich vergessen war. Unser Mitherausgebers Prof. H.J. Schmidt hat sich des unglücklichen Dichters bereits in seinem Werk Nietzsche absconditus angenommen, auch in Aufklärung & Kritik wurde Ortlepps Schicksal unter anderem bereits im Nietzsche-Sonderheft 2000 vorgestellt. Diverse weitere Aktivitäten in dieser Richtung finden sich zusammengefasst auf der Internetseite des Rezensenten unter www.f-nietzsche.de. Also, es tut sich was in Sachen Ortlepp: In der letzten Ausgabe von A&K 2/2004 konnte sodann die Neuauflage des Buches von H.J. Schmidt vorgestellt werden, mit dem u.a. viele Gedichte Ernst Ortlepps der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung gestellt wurden (Der alte Ortlepp war’s wohl doch); und die hier zu besprechende brandneue Zusammenstellung wichtiger Dokumente ergänzt und erweitert die Kenntnisse zu Zeitumständen und der Person Ernst Ortlepps beträchtlich. Dies ist sicherlich nicht nur im Hinblick auf Ortlepp selbst von Interesse, sondern auch ganz allgemein, insofern mit diesem Buch die Praktiken von Politik und Zensur in den restaurativen 30er Jahren des 19. Jahrhunderts aufgezeigt werden, die etwa auch einen Ludwig Feuerbach betrafen, wenn seine "Gedanken über Tod und Unsterblichkeit" konfisziert wurden, und der ebenso wie Ortlepp seither keinerlei öffentliche Anstellung mehr erhalten konnte.

Der Autor ist pensionierter Kriminalbeamter, der im Senior-Studium an der Universität Dortmund Philosophie studierte und dort von unserem oben bereits genannten Mitherausgeber auf die Spur Ortlepps gesetzt wurde. Dies insbesondere deshalb, als seine beruflichen kriminalistischen Fähigkeiten ihn geradezu dazu prädestinierten, die Todesumstände von Ernst Ortlepp aufzuklären, bezüglich derer bislang einige Fragen offen geblieben waren.

Das Buch gliedert sich in drei Teile: Unter dem Titel "Freiheit! Für die Presse Freiheit!" behandelt es die journalistische und dichterische Tätigkeit Ortlepps im Leipzig der Jahre 1830-1833. Auf diese Weise erfahren wir nicht nur chronologisch etwas über die Veröffentlichungen Ortlepps, sondern damit eben gleichzeitig, was sein Lesepublikum in Leipzig kurz nach der Revolution von 1830 bewegte. Nachzulesen ist auch die "journalistische Hinrichtung" Ortlepps durch Heinrich Laube, die um so unmotivierter erscheint, als ersterer seinen "Henker" kurz vorher mit einer recht wohlwollenden Kritik bedacht hatte – es handelt sich wohl darum, daß der nachdrängende Konkurrent den Platzhirsch aus dem Weg räumt, obwohl dieser doch zumindest partiell im Hinblick auf Religionskritik und bürgerliche Freiheit mutig die gleichen Ziele verfolgte wie das "Junge Deutschland".

Im zweiten Teil werden an Hand von Originalunterlagen die Machenschaften von Politik und Zensur gegen die Publikationen Ortlepps dargestellt, wodurch wir einen guten Eindruck von der Arbeitsweise der politischen Führung und vor allem von dem langen Arm Metternichs in dieser restaurativen Phase erhalten, wenn er auf die ihm zu lasche Milde der sächsischen Zensur Druck ausübt, um die Ortleppschen Werke in ganz Deutschland verbieten zu lassen.

Der dritte Teil schließlich bringt alle vorhandenen Materialien zum unter anderem vom jungen Nietzsche mitgeteilten Tod Ortlepps im Jahr 1864 und versucht, diese so auszuwerten, als ob es sich um einen heute stattgefundenen Kriminalfall handeln würde. Der Autor wägt die Alternativen Mord (vielleicht gar aus politischen Gründen?), Selbstmord (an den manche Verse wie die Lebenssituation des Dichters aus dieser Zeit durchaus denken lassen) oder Unfall (etwa die banale Folge eines Rausches des "dämonischen Sängers"?) auf Grund seiner Ermittlungen gegeneinander ab – das Ergebnis soll hier allerdings nicht verraten werden!

Weiter beigefügt ist eine umfangreiche Dokumentation, in der – teils als Faksimile – im Text besprochene Zeitdokumente wiedergegeben werden, so vor allem die mit den Zensuranstreichungen versehenen großen Gedichte Ortlepps, das "Osterlied" und das "Pfingstgedicht", ein Brief Metternichs zum Verbot des "Fieschi" sowie Auszüge aus sächsischen und preußischen Zensurakten. Interessant sicherlich auch, dass sich auf den beigebrachten Zensurlisten neben Ortlepps Fieschi, Heines, Gutzkows und Laubes Schriften etwa auch eine Prachtausgabe vom eben verstorbenen Goethe, Schleiermacher oder die Bibliothek Deutscher Klassiker befinden.

Mit dieser Fülle seiner Informationen vertieft das Buch nicht nur die Kenntnisse über das Schicksal Ernst Ortlepps, sondern kann auch als Momentaufnahme der deutschen Zustände in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts gelesen werden.

Helmut Walther (Nürnberg)